Blog

Kilians Blog: Olympia ein Leben lang im Herzen

Kilian Ort schaffte es bei den Youth Olympic Games 2014 bis ins Viertelfinale (©ITTF)

31.05.2021 - Auch wenn der Widerstand der japanischen Bevölkerung gegen die Ausrichtung der Olympischen Spiele Umfragen zufolge sehr hoch ist, werden die Spiele wohl Ende Juli in Tokio eröffnet. Kilian Ort erklärt in seinem Blog, was dieses besondere Turnier für einen Sportler bedeutet, wie viele tolle Erinnerungen er selbst von der Jugendolympiade 2014 in China mitnehmen durfte und worauf er sich als Zuschauer daheim im Rahmen der Spiele von Tokio freut.

„Welcher Superstar zählt eine olympische Goldmedaille zu seiner Trophäensammlung? A: Lionel Messi, B: Tiger Woods, C: Dirk Nowitzki, D: Novak Djokovic”

Diese “Wer wird Millionär”- Frage aus dem Jahr 2015 könnte man auch heute noch so stellen. Der ein oder andere kennt vielleicht die Antwort - wer nicht, erhält sie im Laufe dieses Artikels. Eine Frage in 50 oder 100 Jahren könnte lauten: Warum wurden die Olympischen Spiele in Tokio vom Jahr 2020 auf das Jahr 2021 verlegt? Ja, das blöde Virus war schuld.

Warum keine erneute Verschiebung?

Nun scheint es gut 50 Tage vor dem geplanten Startschuss tatsächlich sicher zu sein, dass die 32. Olympischen Spiele in Japans Hauptstadt stattfinden können, obwohl in der japanischen Bevölkerung der Rückhalt für dieses Großereignis Stück für Stück schwindet. Wie beispielsweise t-online.de berichtet, sind 43% der Japaner für eine Absage der Spiele und weitere 40% für eine erneute Verschiebung. Die zunehmende Skepsis der Einheimischen ist zum Teil sicher auch auf wieder steigende Infektionszahlen zurückzuführen. Zudem sagt man den Japanern nach, dass für sie das Sicherheitsgefühl ein hohes Gut ist. Deshalb ist es nachvollziehbar, dass nicht jeder Bürger des Inselstaats dreimal vor Freude in die Luft springt, wenn mehr als 10.000 Athleten aus der ganzen Welt – Schiedsrichter, Trainer, medizinisches Personal und Funktionäre rechnen wir noch nicht mal mit ein – mitten in einer Pandemie in ihr Land reisen. Deshalb muss die Frage „Warum werden die Olympischen Spiele nicht noch mal verschoben?“ erlaubt sein. 

Michael Naraine, Professor für Betriebswirtschaft an der kanadischen Brock University, äußerte sich dazu folgendermaßen: „Ganz ehrlich gesagt: Diese Spiele finden nur noch wegen des Sponsoringgeldes statt. Das Geld ist der einzige Grund, warum überhaupt noch über die Spiele gesprochen wird. Aus Perspektive der öffentlichen Gesundheit sollten sie nicht stattfinden. Hinzu kommt, dass im Fall einer Absage die Versicherungskosten für alle zukünftigen Sportgroßveranstaltungen in die Höhe schießen würden. Das ist ein weiterer Grund, warum sie nicht abgesagt werden.“ Darüber hinaus sind auch internationale wie nationale Sportverbände sowie auch Sportler dringend auf die verteilten Gelder bzw. Sponsoringeinnahmen angewiesen. Deshalb hatte und hat das Team um den Präsidenten des IOC, Thomas Bach, sowie die japanischen Verantwortlichen sicherlich alle Hände voll zu tun, um ein adäquates Gesundheits- und Hygienekonzept für ein derartiges Megaevent auf die Beine zu stellen. 

Kein unbeschwertes Zusammenkommen

Das sogenannte „Playbook“, das eine Durchführung ohne größere medizinische Zwischenfälle gewährleisten soll (für alle How-I-met-your-mother-Fans: Noch ist nicht klar was Barney damit zu tun hat), wird in seiner finalen Fassung im Juni erscheinen. Bisher ist unter anderem bekannt, dass sich alle Bewohner des Dorfes innerhalb von 96 Stunden vor ihrer Anreise zwei Corona-Tests unterziehen müssen und ein täglicher Abstrich auch während des Events zur Alltagsroutine werden wird. Da bleibt zu hoffen, dass sich die falsch positiven Tests in Grenzen halten werden. Für den Großteil der Athleten sind diese zwei Wochen nämlich ein Erlebnis, das sie ihr Leben lang im Herzen tragen werden. 

Viele derer, die nach Japan reisen werden, hatten in den vergangenen fünf Jahren nichts anderes zu tun, als sich möglichst zeitnah für Tokio zu qualifizieren und sich auf diese zwei Wochen, in denen sich Karrieren entscheiden können, optimal vorzubereiten. Die Opfer, die in Sportarten, in denen der Verdienst noch weitaus niedriger als der im Tischtennis ist, während eines olympischen Zyklus im Hinblick auf Familie, etwaigen Job und auch teilweise die eigene Gesundheit erbracht werden, sind für viele Außenstehende wohl kaum greifbar. Umso enttäuschender wird es bei den diesjährigen Spielen für diejenigen werden, die besonders das sportartenübergreifende Zusammenkommen, die Identifikation mit ihrer gesamten nationalen Mannschaft und das olympische Motto „Dabei sein ist alles“ so lieben, da das Hygienekonzept - selbstverständlich vernünftigerweise – all dem einen gewaltigen Strich durch die Rechnung machen wird und zudem auch keine ausländischen Zuschauer zugelassen sein werden. 

Tolle Erinnerungen an Jugendolympiade

Ich hatte selbst schon das Glück, an der Jugendolympiade 2014 in Nanjing teilnehmen zu dürfen – quasi Olympia in Miniaturform. Wenn ich mit Yuan Wan, die damals mit mir gemeinsam den DTTB repräsentieren durfte, über diese drei Wochen im olympischen Dorf rede, dann sprudelt es nur so aus uns heraus. Die Eindrücke eines solchen Ereignisses sind nicht annähernd mit einem anderen Tischtennisturnier zu vergleichen. Erfreulicherweise hatte ich zwei angenehme Zimmerkollegen: einen Triathleten, der gefühlt in seiner eigenen Zeitzone unterwegs war, weil er stets um vier Uhr morgens aufwachte, um rechtzeitig an seiner Strecke zu sein, und einen Badminton-Spieler, der ein ähnliches „Problem“ mit den Asiaten hatte wie ich. Dass die Chinesen herausragende Gastgeber sind, muss man ihnen eindeutig lassen. Die Sportstätten waren ausgezeichnet, alles war top organisiert und am auffälligsten: Volunteers, so weit das Auge reichte. Es gab mehrere Eingänge in die riesige Mensa und gefühlt stündlich wurden die Damen, die dort pro Seite zu dritt nebeneinanderstanden und jeden einzelnen Sportler aufs Höflichste mit einem Lächeln und einem „Hello“ in den Essenssaal geleiteten, ausgetauscht. 

Nach einigen Trainingslagern in China war dies bereits mein sechster Aufenthalt im Reich der Mitte und, sollte mir der Stellenwert des Tischtennissports dort bis dahin noch nicht bewusst gewesen sein, so sollte sich dies spätestens während dieser Wochen in der Provinz Jiangsu ändern. Bereits bei meiner Ankunft im Dorf fragte eine freiwillige Helferin den eigens für das deutsche Team abgestellten chinesischen Dolmetscher, was ich denn für eine Sportart betreibe. Als Benno – ja, das war der Spitzname des Dolmetschers – ihr mitteilte, dass ich Tischtennis spiele, schaute mich die nette Dame an, als hätte sie gerade erfahren, dass ein amerikanischer Schauspieler vor ihr stehen würde. Eine solche Begeisterung für unseren Sport wäre auch in der deutschen Bevölkerung wünschenswert. Spätestens als bei der Eröffnungsfeier Zhang Jike als einer der letzten Fackelträger durchs Stadion lief und eine ihrer favorisierten K-Pop-Bands auftrat, verfiel auch Yuan in Ekstase. 

Überraschungen vorprogrammiert

Dass die „echten“ olympischen Spiele und auch die Paralympics noch eine ganz andere Kragenweite haben, ist selbstredend. Jeder Sportinteressierte kann sich wohl an prägende Momente vor dem Bildschirm erinnern. Mir fällt da zum Beispiel ein, wie ich als Achtjähriger Timo im Spiel gegen Werner Schlager kräftig die Daumen gedrückt habe, wie ich als Zwölfjähriger sehen durfte, wie Usain Bolts Stern aufging, oder wie ich als 16-Jähriger Dimas überraschende Bronzemedaille im Einzel bejubelte. Für das Einzel-Finale von Rio bin ich sogar nachts aufgestanden, um live mitzuerleben, wie der Druck von Ma Long abfiel, als er sich zum Olympiasieger krönen konnte. Da man nur alle vier Jahre die Chance hat, dieses Turnier zu gewinnen, tragen viele Athleten einen Rucksack mit sich herum. Schon bei den Qualifikationsturnieren für die Olympischen Spiele sieht man einigen Spielern den „Eisenarm“ an. Dass der während eines entscheidenden Spiels beim Großereignis nicht lockerer wird, ist nachvollziehbar, weshalb Überraschungen vorprogrammiert sind. 

Damit diese nicht zuhauf auftreten, schickt China nur Spieler zu Olympia, die gefühlt schon dreimal durch den Jangtsekiang geschwommen sind. So wurde vor fünf Jahren Zhang Jike für das Einzel nominiert, obwohl zumindest daran gezweifelt werden durfte, ob er zu diesem Zeitpunkt, wenn man nur den spielerischen Aspekt bewerten würde, tatsächlich der zweitstärkste Chinese gewesen ist. Der Erfolg hat der Weltmacht allerdings recht gegeben. Überraschungen sind dann aber doch das Salz in der Suppe. Dass Quadri Aruna ins Viertelfinale der Olympischen Spiele einziehen konnte, ist aus neutraler Perspektive gesehen ein unglaublicher Erfolg – aus deutscher Sicht tat Timos Niederlage gegen ihn natürlich weh. Ich hatte selbst schon die Gelegenheit, nach Nigeria zu reisen. Wenn ein Athlet, der es beispielsweise im Vergleich zu uns Europäern aufgrund der viel unprofessionelleren Gegebenheiten in seinem Heimatland so weit gebracht hat, absolute Größen wie Timo oder auch Chuang Chih-Yuan bei Olympischen Spielen aus dem Weg zu räumen, dürfte jedem Sportromantiker das Herz aufgehen. Somit wünsche ich mir für das kommende olympische Turnier selbstverständlich starke deutsche Ergebnisse, möglichst viele Erfolge der vermeintlichen Underdogs und dass alle wieder gesund zu Hause ankommen. 

Auch für Weltfußballer ein Traum

Ach ja, die Frage vom Anfang war damals übrigens 64.000 Euro wert. Ich hatte, kurz bevor ich die Frage im Fernsehen gesehen hatte, eine Biografie von Pep Guardiola gelesen, in der stand, dass Messi sehr unglücklich war, weil der FC Barcelona ihm die Freigabe für die Olympischen Spiele von Peking verweigern wollte. Der gerade zum Cheftrainer ernannte Guardiola entschied, dass dem inzwischen sechsmaligen Weltfußballer dieser Traum erfüllt werden sollte. Selbst für so manchen Fußballer ist Olympia nämlich etwas ganz Besonderes. Messi gewann mit Argentinien Gold, kehrte unversehrt nach Katalonien zurück und zahlte seinem Trainer alles doppelt und dreifach zurück. Ende gut, alles gut…bis auf die Tatsache, dass sich die Kandidatin auf ihren Telefonjoker verließ, der ihr zu Djokovic geraten hatte. 

(Kilian Ort)

Kommentar schreiben

Um weiterhin qualitativ hochwertige Diskussionen unter unseren Artikeln zu gewährleisten, haben wir uns dazu entschlossen, die Kommentarfunktion mit dem myTischtennis.de-Login zu verknüpfen. Wenn Sie etwas kommentieren möchten, loggen Sie sich einfach in Ihren Account ein. Die Verwendung eines Pseudonyms ist weiterhin möglich, der Account muss jedoch einer realen Person zugeordnet sein.

* Pflichtfeld

Copyright © 2024 myTischtennis GmbH. Alle Rechte vorbehalten.