Seine Beläge kann man im Laden kaufen, betont Timo Boll (©Roscher)
03.02.2016 - Timo Boll fällt gemeinhin nicht unbedingt dadurch auf, dass er öffentlich Missstände anprangert. Im Interview mit der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung hat sich der Rekordeuropameister allerdings einmal Luft gemacht und deutliche Worte zum Thema Material gefunden. Er geht davon aus, dass 80 Prozent der Spieler, darunter auch die Chinesen, mit nicht regelkonformen Schlägern spielen. Er selbst habe dagegen ein reines Gewissen.
Zum Ende des Jahres hatte Dimitrij Ovtcharov mit einem kritischen Zeitungsinterview aufhorchen lassen, jetzt legt Timo Boll nach. Im Gespräch mit der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung spricht der Weltranglistenneunte ein Thema offen an, über das ansonsten eher selten öffentlich gesprochen wird: das Tuning in der Weltspitze. Früher hat man noch frisch geklebt, um den begehrten Katapulteffekt zu erreichen und damit schneller und rotationsreicher spielen zu können. Seitdem die dabei verwendeten Kleber mit flüchtigen organischen Lösungsmitteln 2008 verboten wurden, hat das Tuning, bei dem die Beläge nachbehandelt werden, das Frischkleben abgelöst. Allerdings ist auch dies laut ITTF-Reglement verboten, kann jedoch schwer nachgewiesen werden.
Timo Boll schätzt, dass etwa 80 Prozent der kontrollierten Schläger nicht regelkonform sind, obwohl sie die Tests bestanden haben. „Die Beläge werden mit Chemikalien nachbehandelt, um den Katapulteffekt beim Schlag zu vergrößern. Das machen nicht nur die Chinesen, das machen auch Europäer und andere Asiaten“, erklärt Boll der FAS. „Um das nachzuweisen, müsste man den Belag vom Schläger lösen und ihn ins Labor schicken. Das fordere ich schon lange. Aber das hält der internationale Verband für unzumutbar.“ Spieler, die sich an die Regeln halten, würden so klar benachteiligt. So auch Boll, der betont, dass sein Schläger zu 100 Prozent den Regeln entspricht. „Ich spiele mit Belägen, die man im Laden kaufen kann. Da gibt es keinen Unterschied. Ich habe ein absolut reines Gewissen“, betont der Ausnahmespieler.
Die Chinesen werden von Boll dagegen explizit als ‚Tuner‘ ausgewiesen. So habe zum Beispiel Wang Hao einmal in einer Fernsehsendung gezeigt, wie die Beläge nachbehandelt werden. Die Chinesen fühlen sich laut Boll allerdings nicht im Unrecht, da die Schläger ja die Tests stets bestehen. Die Topspieler aus dem ‚Reich der Mitte‘ seien zwar nicht nur wegen ihrer Beläge so stark, „aber sie könnten manchen Ball nicht so spielen, wie sie ihn spielen, und manche Schläge hätten nicht die Qualität, die sie im Moment haben.“ Boll selbst, der so manchen Sommer in der chinesischen Superleague gespielt hat, habe das Material seiner Teamkollegen schon getestet - mit der Erkenntnis: „Wenn die Chinesen mit meinem Schläger und ihrer gewohnten Technik einen Topspin ziehen, dann landet er in der eigenen Hälfte.“
Das Thema Tuning ist natürlich nicht neu, kann, wenn es von einem Topspieler wie Timo Boll öffentlich angesprochen wird, aber vielleicht noch einmal mehr Aufmerksamkeit erregen. Anfang 2013 hatte der Japaner Jun Mizutani bereits aufhorchen lassen, als er erklärte, er boykottiere ITTF-Veranstaltungen, um gegen illegales Tuning zu protestieren. Bei der diesjährigen WM in Malaysia wird über einen ausführlichen Antrag des Japanischen Tischtennisverbands abgestimmt, der eine Verschärfung der Testverfahren fordert. Und auch die Athletenkommission argumentiert in ihrem Vorschlag über eine Erhöhung der zulässigen Belagdicke von 4 auf 4,25 mm unter anderem damit, dass das Tuning so eingeschränkt werden könne, da auf diese Weise womöglich ein Ausgleich zu dem verlorenen Spin geschaffen würde, der die Einführung des Plastikballs mit sich gebracht hat. Ob die Anträge durchkommen oder nicht - in dieses Themengebiet scheint gerade auf jeden Fall etwas Bewegung zu kommen...
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(JS / Quelle: Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung)
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