Pro vs. Contra

Pro vs. Contra: Bringt uns die neue Coachingregel weiter?

Ist es als Gewinn zu werten, dass Coaching bald nicht mehr auf Satzpausen und Auszeiten beschränkt ist? (©Roscher)

15.05.2015 - Bei jeder Weltmeisterschaft wird über neue Vorschläge diskutiert, wie man unseren Sport verbessern kann. In diesem Jahr kam ein Antrag des DTTB durch, der den Trainern gestattet, auch zwischen den Ballwechseln zu coachen. Nach den Olympischen Spielen in Rio wird diese neue Regel international eingeführt - doch wie ist sie zu bewerten? Jan Lüke und Lennart Wehking diskutieren die Angelegenheit in unserer Reihe ‚Pro vs. Contra‘ aus.

 
 
 

PRO

Man stelle sich vor: Jörg Roßkopf tigert an der Box entlang, gibt seinem Schützling mit wilden Gesten taktische Spielzüge und Aufschlagvarianten vor, kommentiert irritiert fluchend oder die Jubelfaust schwingend jeden Ballwechsel und springt bei kniffligen Entscheidungen der Schiedsrichter über die Bande in die Box. Zugegeben, dieses Szenario ist unrealistisch. Ein Coaching im Stile Pep Guardiolas bleibt wohl weiterhin ein fußballimmanentes Phänomen. Das ist auch gut so, denn Tischtennis ist nicht Fußball. Den einen oder anderen Funken Emotion (ob nun nach Fasson des katalanischen Erfolgstrainers oder nicht) könnte unserer Sport aber durchaus vertragen, zumindest sollte er nicht im Keim erstickt werden wie bisher. Mit der Übernahme der „deutschen“ Coaching-Regelung, die in den Bundesligen eine zwei Spielzeiten dauernde Testphase bravourös überstanden hat, macht der Weltverband einen Schritt in die richtige Richtung – endlich mehr Leben an der Box!

So manch einer murrt bestimmt: „Schon wieder eine Regeländerung durch den Tischtennis-Weltverband? – Och nö.“ Die zahlreichen Neujustierungen des Regelwerks in jüngerer Vergangenheit haben bei vielen Liebhabern des Sports nicht gerade für Jubelstürme gesorgt, das kann ich durchaus nachvollziehen. Anders und als wertvoll schätze ich jedoch die neueste Regeländerung des Weltverbands ein – seit den Weltmeisterschaften in Suzhou steht fest: Ab Oktober 2016 gibt es auch international grünes Licht für das Betreuen zwischen den Ballwechseln. Das ist gut so. Denn die gelockerten Coachingvorgaben können für neuen Schwung während der Wettkämpfe sorgen und durchaus einen Mehrwert für Aktive und Zuschauer bieten. 

Dem allgemeinen Wunsch nach mehr Emotionen und weniger Reglementierung während des Wettbewerbs wird damit endlich nachgekommen – zumindest auf der Seite des nicht gänzlich unbedeutenden Coachings. Gelbe Karten für stimmungsgeladenes, leidenschaftliches Anfeuern von der Bande aus sind dann hoffentlich Geschichte. Und mal ganz ehrlich: Kleine, aber feine Interventionen (zumindest motivationaler Art) wurden und werden schon seit jeher praktiziert – ein „Weiter geht‘s!“, „Come on!“ oder „Kämpfen!“ ist bald zum Glück auch international keine Unsitte mehr. 

Die Angst, dass das Eingreifen von außen dahingehend ausartet, dass taktische Anweisungen und böse Worte in Richtung Gegner während des Satzes nur so in die Box fliegen und Spielfluss und Aktiven stören, kann ich zerstreuen. Als Spieler und Betreuer in Liga 2 habe ich die Erfahrung gemacht, dass taktische Tipps nur beschränkt und extrem abhängig von Spielertyp und Spielsituation verbal kommuniziert werden. Ungleich häufiger dagegen wird dem Schützling Dampf gemacht, der Spieler nach vorne gepeitscht, Emotionen zwischen Spieler und Trainer aufgebaut und ausgetauscht  – und das ist doch nur positiv zu werten! 

Gespannt darf man trotzdem sein, wie und ob sich die internationale Szene mit ihren Trainern einen Code, eine eigene Zeichensprache für taktische Manöver ausdenken und dann auch in die Tat umsetzen. Wenn nicht nur in absoluter Geheimsprache kommuniziert wird, könnte ein offeneres Coaching stärkere Einblicke in die Art und Weise der taktischen und psychologischen Betreuung verschaffen und dadurch auch für das Tischtennispublikum ein Plus liefern und die Transparenz fördern. Die Option, dem Aktiven während des Satzes mit wenigen Schlagworten oder anderen Signalen die taktische Ausrichtung in Erinnerung zu rufen oder diese umzustellen, ist ein erfrischendes und spannendes Element, welches den Status von Tischtennis als technisch-taktisch höchst anspruchsvolle Sportart zementiert. (Lennart Wehking)

 
 
 
 
 
CONTRA

An sich mag das alles ja eine nette Idee sein, die der Deutsche Tischtennis-Bund in seinen beiden höchsten Spielklassen testweise bereits erprobt und die der Weltverband für internationale Wettkämpfe jüngst in Suzhou eingeführt hat – die vom Coaching zwischen den Ballwechseln nämlich. Die neuste Regeländerung sorgt für Leben und Stimmung in der Box und drumherum, stärkt die Bedeutung des Coachings und beugt einer Menge von undurchsichtigem Geschehen am Tisch vor, was verbotenes Betreuen außerhalb der Satzpausen angeht. In der Theorie bieten sich da also sicherlich Vorteile – einverstanden. Aber wie sieht das in der Praxis aus? „In der Vorhand hat der ein Loch, da is‘ er zu langsam!“ „Die Aufschläge sind alle lang, greif‘ die an.“ „Flippen kann er nicht, erst recht nicht in der Vorhand.“ Wenn ich mir nur vage vorstelle, welche Sätze da fallen und welche Situationen und Reaktionen am Tisch dadurch aufkommen könnten, muss ich ganz ehrlich sagen: Von der Idee halte ich dann doch nicht so viel. Um nicht zu sagen: eigentlich gar nichts.

Ganz grundlegend finde ich, dass das permanent mögliche Coachen ein störender Einfluss auf das Geschehen am Tisch werden kann. Auf den Spielfluss, auf die Konzentration, auf den bloßen Wettkampf zwischen den Spielern. Zwei Stimmen, die im schlimmsten Fall durchgängig zwischen den Ballwechseln auf ihre Athleten einreden oder das zumindest dürften, mögen vieles sein – aber doch eher kein Mehrwert für die Sportart.

Und das betrifft nicht nur die Frage danach, wann und wie viel die Trainer reden, sondern eben auch: was sie reden. Denn es stellt sich natürlich die Frage, wie so eine Regel in ihrer Handhabung aussehen könnte. Wie soll das denn konkret zu regulieren sein? Wo sind da die Grenzen? Da dürfte es fast noch das geringste Problem sein, sich auf einen oder möglicherweise zwei Betreuer pro Partei pro Box festzulegen. Aber was darf dann da alles besprochen werden? Was ist noch taktischer Hinweis oder Pushen vom Boxenrand, ab wann ist es etwa ein reines Störungsmanöver? So klar ist das kaum zu fassen – sollte es aber, wenn man es mit dem neuen Regelwerk ernst nimmt.

Natürlich redet man beim Coachen über den Gegner. Und natürlich darüber, was er denn nicht kann. Wenn man da dann die Grenzen der Regel ausloten will, geht das Ganze nah heran an Äußerungen, die man im sportlichen Wettkampf vielleicht nicht hören möchte. Erst recht nicht über sich selbst. Und natürlich wird früher oder später der Moment kommen, in dem ein Coach von außerhalb der Umrandung eher den Gegner schwächen als den eigenen Schützling stärken möchte. Was ja zunächst nicht einmal verwerflich ist. Trotzdem ist es kaum ratsam, einen Persilschein für alles zu verteilen, was keine Strafanzeige wegen Beleidigung nach sich ziehen würde. Ich will nicht päpstlicher sein als der Papst, aber ich glaube eben, dass mit dem Coaching viele Unruhen mit in die Box kommen, die nichts mit dem Zauberwort der ‚Emotion‘ zu tun haben, sondern im Gegenteil: ganz schön stören können.

Und noch etwas ganz anderes frage ich mich: Worin genau soll denn der Mehrwert der neuen Regel liegen? In den paar sichtbaren Emotionen mehr? In der kleinen Ersparnis an Spielzeit, wenn man – wie es die Versuche in der 1. und 2. Bundesliga erprobt haben – die eine oder andere Satzpause dafür weglässt? Ein großer Gewinn ist das nicht. Stattdessen gibt es in meinen Augen einen klaren Verlust: Denn es ist doch eine der Qualitäten eines Spielers, wenn er sich Gedanken über sein Spiel, seine Taktik, seine Herangehensweise machen und die auch noch umsetzen kann. Genau genommen und natürlich ein wenig überhart ausgedrückt: Die Regel schwächt den Spieler in seiner Eigenverantwortung ein Stück weit. Alle drei, vier Minuten steht man doch ohnehin wieder beim Coach an der Bande. Das sollte meiner Meinung nach vollkommen ausreichen (Jan Lüke)

 

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