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Lennarts Blog: Tischtennis-Blase europäischer Art

Dimitrij Ovtcharov wird mit Orenburg auch in der Blase zu Gast sein (©Fabig)

24.11.2020 - Aktuell schauen viele Tischtennisfans interessiert nach China, wo einige hochkarätige Turniere in einer „Bubble“ ausgetragen werden. Vom 11. bis 18. Dezember wird sich der Fokus hingegen auf Düsseldorf richten, wenn die Borussia Gastgeber des Champions-League-Turniers der Herren sein wird. Unser Blogger Lennart Wehking hat Respekt vor der Entscheidung, diese Mammutaufgabe auf sich zu nehmen, sieht neben Chancen aber auch Risiken.

In Zeiten von Covid-19 bleiben die Düsseldorfer Macher innovativ und umtriebig. Nach der sehr positiv bewerteten Masters-Turnierserie wird der deutsche Rekordmeister nun die Champions League der Herren austragen. Innerhalb von sieben Tagen spielen 15 Teams aus zehn Ländern um die europäische Vereinskrone – eine Tischtennisblase inmitten der nordrheinwestfälischen Landeshauptstadt. Die Entscheidung von Manager Andreas Preuß und seinem Team, sich bei der ETTU als Ausrichter des Wettbewerbs im sehr speziellen Format ins Spiel zu bringen, ist mutig (zum Interview mit Preuß). Denn die Organisation eines solchen Events ist eine Mammutaufgabe, die neben der Chance, Düsseldorf ein weiteres Mal als Europas Tischtennishauptstadt zu markieren, auch Risiken birgt. 

Chancen und Risiken 

Die Mannschaften samt Trainerstab und auch die Schiedsrichter werden in eigens für das Turnier geblockten Hotels untergebracht und von der Welt abgeschottet. Der Transport zu den Partien in das Düsseldorfer Tischtenniszentrum ist strikt geregelt, auch in den Hotels selbst gibt es für alle Teilnehmenden einen abgeriegelten Essens- und Aufenthaltsbereich. Zugleich müssen alle Spieler einen negativen Test bei Anreise vorweisen, auch im Verlauf des Wettbewerbs wird getestet. Die organisatorischen Voraussetzungen sind also geschaffen für sieben Tage Tischtennis pur. Wie sich die logistischen Herausforderungen während der Woche in der Blase entwickeln, kann niemand sicher vorhersagen – und darin liegt auch das Risiko für das Team der Borussia. Mit mindestens rund 100 indirekt und direkt am Event beteiligten Personen dürfte in der Landeshauptstadt gerechnet werden, ein Restrisiko für ein Infektionsgeschehen kann da trotz aller Vorsichtsmaßnahmen nicht gänzlich ausgeschlossen werden.

Trotzdem gefällt mir der Vorstoß von Deutschlands erfolgreichstem Tischtennisverein, sich für die Austragung der Champions League so ins Zeug zu legen. Ob dieser für den Mannschaftssport so prestigeträchtige Titel ohne das mit der ETTU abgestimmte Konzept der Düsseldorfer vergeben worden wäre, ist zumindest sehr fraglich. Was mir bislang fehlt, ist die Enthüllung eines medialen Konzepts für die Tischtennisblase à la Düsseldorf – die Voraussetzung, um ein möglichst breites Sportpublikum über diverse Kanäle anzusprechen und das gewünschte große mediale Echo zu kreieren. Ob und wie die ETTU es schafft, das komprimierte Champions-League-Format auf der Agenda der Sportsender und Online-Anbieter zu platzieren, bleibt vorerst ungewiss. 

Düsseldorf als europäisches Gegenstück zur ITTF-Bubble in China

Während in Macao das erste ITTF-Showturnier der WTT-Serie anläuft und einige der europäischen und asiatischen Schwergewichte dafür zum dritten Mal den Ort innerhalb der Re-Start-Blase gewechselt haben, geht man in Düsseldorf andere Wege. Weg von der sich allein auf die Stars der Szene konzentrierenden Aufmachung des Weltverbands, hin zum Fokus auf die europäischen Topmannschaften. Mich persönlich spricht die Dynamik im Aufeinandertreffen der stärksten Teams des Kontinents mehr an als die wenig spannungsgeladene Machtdemonstration Chinas beim World Cup und den ITTF-Finals. Das liegt vielleicht auch daran, dass ich unseren Sport weiterhin als Mannschaftssport schätze – auch auf allerhöchstem Niveau.

Fraglos waren die Begegnungen der asiatischen Weltelite eine Augenweide und haben wieder einmal neue Maßstäbe gesetzt spielerisch; doch die Auftritte der europäischen Hoffnungen, auch in Bezug auf die Olympischen Spiele in Tokyo, die im täglichen Takt auf Exoten, Nachwuchshoffnungen und etablierte Gesichter der Szene treffen, fixen mich mindestens genauso an. Und spätestens in den Halbfinals kommt es auch in Düsseldorf zu Begegnungen, die ein Fingerzeig auf höchstem Niveau dafür sind, welche europäischen Könner sich im Lockdown eine gute Basis für das olympische Jahr erarbeitet haben. 

Spannendes Teilnehmerfeld mit klaren Favoriten

Sollten alle gemeldeten Mannschaften nach Düsseldorf anreisen, sind die besten Teams aus zehn Ländern am Start. Ein Blick auf die voraussichtlichen Aufstellungen zeigt, dass die klaren Favoriten auf den wichtigsten Vereinstitel die üblichen Bekannten aus Russland und Deutschland sein werden. Die Mannschaft aus Ekaterinburg, besser unter TTSC UMMC bekannt, kommt mit drei europäischen Aufsteigern der letzten Jahre nach Düsseldorf: Dem Trio Liam Pitchford, Jonathan Groth und Tomislav Pucar ist auf alle Fälle der Einzug in das Halbfinale zuzutrauen, dessen Dauerrivalen und Ovtcharov-Club aus Orenburg sowieso. Still und heimlich hat sich der russische Titelverteidiger mit Lin Yun-Ju verstärkt. Die Nummer sieben der Welt würde die Mannschaft um Freitas, Ovtcharov und Samsonov noch einmal auf ein anderes Level heben und die Titelambitionen untermauern. Doch auch auf den Auftritt der deutschen Mannschaften freue ich mich. So werden Timo Boll und Patrick Franziska mit ihren Clubs Düsseldorf und Saarbrücken ebenfalls zeigen müssen, wie sie mit der hohen Wettkampfdichte klarkommen und wie sie sich in der Heimatblase zurechtfinden. In dieser werden sie sicherlich mit deutlich weniger Glitter und Glamour begleitet, dafür aber mit deutlich mehr Matches und emotionalem Mannschaftsspirit. 

(Lennart Wehking)

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