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Jans Blog: Ein Dankeschön an die neue Weltrangliste

Hugo Calderano hatte kein Losglück und traf bereits im Achtelfinale auf Ma Long (©Thomas)

20.05.2019 - Gegner der neuen Weltrangliste gibt es sowohl auf Zuschauer- als auch auf Spielerseite. Unser freier Redakteur Jan Lüke meldet sich nun in seinem Blog als Befürworter des neuen Berechnungssystems, da dieses seiner Meinung nach maßgeblich dazu beigetragen hat, dass die WM in Budapest ein Feuerwerk von Überraschungen war. Gehörte Ma Long auf Position elf der Setzliste? War Mattias Falcks Weg ins Finale zu leicht? Lüke nimmt Stellung.

Ein schwedischer Finalist, ein Qualifikant auf dem Podium und frühe Niederlagen von zwei der drei Top-Chinesen. Die Weltmeisterschaften in Budapest waren die abwechslungsreichsten, die das Herren-Tischtennis seit vielen Jahren erlebt hat. Fast hatte man ja vergessen, wie sich das anfühlt: eine WM, deren Ausgang man nicht vorher schon weitestgehend voraussagen konnte. Die großen Turniere waren in den vergangenen Jahren eigentlich fast immer ohne große Überraschungen über die Bühne gegangen. In Budapest hingegen kam vieles anders, als man dachte. Der neutrale Zuschauer erlebte spannende WM-Tage, an die sich viele länger zurückerinnern werden als an die Titelkämpfe 2015 oder 2017.

Der Weltrangliste sei Dank…

Unstrittig ist, dass die neue Weltrangliste zum Turnierverlauf entscheidend beigetragen hat. Das neue Berechnungssystem gilt zwar schon seit Januar 2018. Zum ersten Mal aber war die sogenannte neue Weltrangliste auch Grundlage für die Setzung bei einer WM. Die Weltrangliste ist mittlerweile schnelllebiger und fragiler geworden. Erfolge der Vergangenheit verlieren schneller an Bedeutung, Verletzungen und entsprechende Wettkampfpausen finden stärkeren Niederschlag. Es lässt sich trefflich darüber streiten, was eine Weltrangliste leisten soll und ob das neue System nun besser oder schlechter ist als das alte. Fest steht nur: Es führt zu einem anderen Ergebnis. 

In Budapest führte es obendrein auch formal zu einer Sensation: Die Nummer elf der Weltrangliste und Setzliste gewann den Titel. Das überraschte dennoch niemanden so recht, handelte es sich doch um den Titelverteidiger, zweimaligen Weltmeister und amtierenden Olympiasieger Ma Long. Sensationsweltmeister haben in der Regel eine weniger beeindruckende Vita. Doch hinter Ma Long lag bekanntermaßen ein Katastrophenjahr mit zahlreichen Verletzungen. Die Fachwelt hatte gar über sein Karriereende gemutmaßt, nachdem Ma aufgrund einer Knieverletzung seit Oktober 2018 sieben Monate ohne offiziellen Wettkampf geblieben war. Erst wenige Wochen vor der WM betrat der 30-Jährige wieder die internationale Bühne – und gewann gleich die stark besetzten Qatar Open. Ein Paukenschlag!

Leichter Weg ins Finale?

Nach den Weltmeisterschaften wurden schnell die Rufe nach einer unfairen Setzliste laut. Überraschungsfinalist Mattias Falck habe einen vermeintlich leichten Weg ins Finale gehabt, weil er auf dem Weg dorthin keinen Chinesen hatte schlagen müssen. An Falcks Stelle hätten auch Kanak Jha oder Hugo Calderano stehen können, wären sie nicht frühzeitig auf Ma Long getroffen. Und überhaupt: Der Tag der Auslosung wäre diesmal der entscheidende gewesen. 

Solche Kritik an unfairer Auslosung und unsportlichem Turnierverlauf ist unpassend. Ganz im Gegenteil: Was viele kritisieren, hat mir besonders gefallen.

Zum einen bin ich Freund des neuen Weltranglistensystems, das mehr Stärken als Schwächen hat. Natürlich ist es ein Leichtes, es im Nachhinein als selbstverständlich darzustellen, dass Ma Long seinen Titel verteidigt hat und mindestens auf dem Level der vorherigen WM-Turniere spielte. Tatsächlich aber hätte nur wenige Wochen vor dem Turnier keiner auch nur einen Cent auf den neuen, alten Titelträger gesetzt, über dessen Krankenstand wenig bekannt gewesen war. Ma Longs Setzung ging absolut in Ordnung. Dass ausgerechnet der beste Spieler der vergangenen Jahre erst Tage vor der WM sein Comeback nach mehrmonatiger Verletzungspause gibt, ist – egal mit welchem Resultat – ohnehin ein Sonderfall, der sich so schnell nicht wiederholen wird. Aber mit welcher Berechtigung hätte man Ma Long höher einstufen sollen?

Raum für Unvorhergesehenes

Zum anderen gehört es in meinem Augen zum Reiz eines Turniers mit K.o.-Modus, dass es Raum für Unvorhersehbares gibt. Das soll nicht heißen, dass die vermeintlich besten Spieler willkürlich gleich in der ersten Runde aufeinander losgelassen werden. Aber es darf dazu führen, dass die einen vermeintlich von einer Auslosung profitieren und die anderen vermeintlich davon benachteiligt werden. Solche Einschätzungen sind ohnehin immer höchst subjektiv. Und am Ende heißt es ja noch immer: Wer Weltmeister werden will, muss ohnehin alle Gegner schlagen.

Ein Turnier ist immer ein nach künstlichen Kriterien geschaffener Wettbewerb. Wem das zu undemokratisch ist, der müsste sich auch dafür aussprechen, WM-Turniere künftig mit 20 chinesischen und 15 japanischen Spielern auszutragen. Denn auch der amtierende Youth-Olympic-Games-Sieger und neue Doppelweltmeister Wang Chuqin hätte in Budapest sicherlich gute Medaillenchancen im Einzel gehabt. Er durfte allerdings gar nicht erst mitmachen. Mir hat die WM mit all ihren kleinen Überraschungen und großen Sensationen sehr gefallen. Gerne mehr davon. 

(Jan Lüke)

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