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Jans Blog: Ist Harimoto 2020 reif für Olympiasieg?

Der letzte und der nächste nicht-chinesische Olympiasieger? Ryu Seung Min und Tomokazu Harimoto (©Roscher/ITTF)

25.03.2019 - „Die Olympischen Spiele 2020 in Tokio sind mein ultimatives Ziel in meiner Tischtenniskarriere“, sagte vor zwei Jahren ein zwölfjähriger Tomokazu Harimoto. Damals mag man darüber noch gelächelt haben, inzwischen unterschätzt den Japaner kein Topspieler mehr. Aber ist Harimoto in einem Jahr wirklich so weit, die chinesische Serie zu durchbrechen? Der letzte nicht-chinesische Olympiasieger, Ryu Seung Min, kann es sich gut vorstellen. Jan Lüke denkt in seinem Blog darüber nach.

Der Mann weiß, wovon er spricht. Im Endspiel der Olympischen Spiele von Athen 2004 besiegte Ryu Seung Min den chinesischen Favoriten Wang Hao und gewann Gold. Der Südkoreaner ist der bislang letzte Olympiasieger, der nicht aus China kam. Er ist sogar der bislang letzte Nichtchinese, der einen der ganz großen internationalen Titel holte. Der legendäre WM-Triumph von Werner Schlager liegt noch ein Jahr länger zurück – 2003 in Paris. Seitdem wechselten zwar die Träger der begehrtesten Goldmedaillen der Sportart. Sie alle aber kamen aus: China. Nie war das im Tischtennis traditionell dominante Reich der Mitte so dominant wie in den vergangenen 15 Jahren. 

2020 Jahr des Umschwungs?

Spätestens im nächsten Jahr ist Schluss damit – das zumindest glaubt eben jener Ryu Seung Min. Bei einem Vortrag in Singapur erzählte Ryu, der 2014 nach einem Bundesliga-Gastspiel bei den TTF Ochsenhausen seine aktive Karriere beendet hatte, dass die Olympischen Spiele 2020 seiner Meinung nach historische Bedeutung bekommen könnten, weil in Tokio die chinesische Vorherrschaft enden wird. „Es gibt wirklich gefährliche, junge Spieler wie Tomokazu Harimoto. Und die chinesischen Spieler sind nervös, weil diese Spieler so schnell besser werden“, sagte Ryu laut einem Bericht der englischsprachigen singapurischen Zeitung Straits Times. „Deshalb können wir erwarten, dass ein anderes Land die Goldmedaille holt.“ Hoppla! Eine ziemlich gewagte Aussage, wenn man bedenkt, wie die Chinesen im vergangenen Jahrzehnt in der Weltspitze durchs Feld gepflügt sind.

Was ist dran an Ryus Behauptung? Wunschdenken eines Nichtchinesen? Mehr als simple Stochastik, dass je länger eine Serie dauert, die bloße Wahrscheinlichkeit steigt, dass sie irgendwann doch mal endet? Oder gibt es wirklich berechtigten Grund zur Hoffnung? Denn das darf man ja sagen: Über einen nicht-chinesischen Olympiasieger würde sich wohl die gesamte Tischtenniswelt außerhalb Chinas freuen. Die Langeweile bei den Siegerhymnen setzt einem ja auf Dauer doch zu.

Weniger neue Gefahren als gedacht

Tatsächlich hat Ryu mit seiner Einschätzung aber wohl etwas zu hoch ins Regal gegriffen. Die „wirklich gefährlichen, jungen Spieler wie Tomokazu Harimoto“ sind nicht viel mehr als das japanische Wunderkind selbst. Als echte Bedrohung für China sind in den vergangenen Jahren vielleicht noch Hugo Calderano und Jang Woojin hinzugekommen, die die besten Chinesen im Head-to-head schlagen konnten. Ansonsten ist das Vorderfeld der Weltspitze jüngst nicht so stark durchmischt worden, wie man sich das bei zeitweise schwächelnden Chinesen vielleicht gewünscht hätte.

Vielmehr hätte Ryu seine These auch auf Harimoto allein stützen können. Wenn jemand ein schwer kalkulierbares Risiko für China darstellt, dann sicherlich der 15-Jährige. Die Nummer vier der Weltrangliste hat mit Jun Mizutani und Timo Boll, aber auch Ma Long, Fan Zhendong oder Lin Gaoyuan schon beinahe die gesamte Weltelite in direkten Duellen geschlagen. Er hat mit den World Tour Grand Finals einen der wichtigsten Titel der Sportart gewonnen – Ende vergangenen Jahres mit gerade einmal 15 Jahren. In Tokio wird er 17 Jahre alt sein. Noch immer jung, aber vielleicht schon alt und erfahren genug, um China die Stirn zu bieten. Bei keinem Spieler in der Weltspitze ist so schwer abzuschätzen, wie schnell er sein Level nach oben schrauben kann. Und das ist es wohl, was den Chinesen die größten Sorgen bereitet.

Fürs Erste nur ein frommer Wunsch

Und dennoch: Die Wahrscheinlichkeit für einen großen Coup von Harimoto ist Stand heute noch immer gering. Noch spielt Harimoto nicht so konstant wie Fan Zhendong, nicht einmal wie Xu Xin oder Lin Gaoyuan. Auch gilt abzuwarten, ob und wie stark Ma Long zurückkommt. Wir sprechen immerhin vom amtierenden zweimaligen Weltmeister, der bis vor zwei Jahren als unschlagbar galt. Zudem hat Harimoto bisher wenige große Spiele um bedeutende Medaillen gespielt – und etwa im vergangenen Jahr das Finale der Youth Olympic Games gegen den Chinesen Wang Chuqin verloren. Gerade in Tokio wird auf Harimoto ein enormer Druck lasten. Er mag zwar 2020 noch immer ein Kind sein, von dem sein Land aber mindestens eine Medaille erwarten wird und das im Sommer 2020 wie nie zuvor in der Öffentlichkeit stehen wird. Auf Harimoto lastet bei den Olympischen Spielen in seiner Heimat keine geringere Last als auf den beiden favorisierten Chinesen, die im Einzel ins Rennen gehen werden. So schränkte Ryu Seungmin mit Blick auf die Drucksituation Harimotos auch ein, dass dieser nur Olympiasieger werden könne, wenn er dieses Hindernis überwände. Nicht außer Acht lassen sollte man auch, dass nicht nur die Herausforderer gesteigerten Aufwand für die Olympischen Spiele von Tokio betreiben. Auch China unter dem zurückgekehrten Liu Guoliang erhöht den Druck und die Intensität auf seine Spieler. Für die Konkurrenz hat das in der Vergangenheit meist Schlechtes geheißen. In Summe bleibt die Einschätzung von Ryu Seung Min wohl erst mal ein frommer Wunsch.

Einen Vorgeschmack auf das Kräftemessen „China gegen den Rest der Welt“ gibt es in drei Wochen in Budapest. Bei der WM werden Harimoto & Co. die Gelegenheit bekommen, China auf den Zahn zu fühlen. Vielleicht wirft ein Überraschungsweltmeister neues Licht auf Ryus gewagte These. Ich kann es mir nicht vorstellen – aber wünschen würde ich es mir trotzdem.

(Jan Lüke)

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