Olympia 2024

Analyse: "Die Vorentscheidung fiel im ersten Einzel"

Hermann Mühlbach analysiert die Viertelfinalniederlage der deutschen Herren gegen Schweden (©Heuing/Blank/Spinsight)

07.08.2024 - Die Olympischen Spiele in Paris sind für die deutschen Herren beendet. Nach der 0:3-Niederlage gegen Schweden im Viertelfinale nimmt Hermann Mühlbach das Match noch einmal für uns auseinander und identifiziert die Knackpunkte des Spiels. Der Senior Expert Digital Training bei der Spinsight ESN Digital GmbH findet zwar, dass die Chance, das Spiel in eine andere Richtung zu lenken, zwar durchaus da war. Die Schweden seien aber heute einfach stärker gewesen.

Der ehemalige luxemburgische Nationaltrainer und heutige Senior Expert Digital Training bei der Spinsight ESN Digital GmbH, Hermann Mühlbach, über die 0:3-Niederlage der DTTB-Herren gegen Schweden: "Auf dem Papier war Deutschland vielleicht der Favorit, aber wer genauer hingeschaut hat, sah auf Seiten der Schweden ein eingespieltes Doppel, das sich bereits mehrfach bewährt hat - denn Kristian Karlsson hat nicht nur mit Mattias Falck schon Erfolge gefeiert, sondern auch mit Anton Källberg -, sowie einen Truls Moregardh in Topform. Und so ging es dann auch los: Deutschland war im Doppel letztlich chancenlos. Beide Paare bauten ihr Spiel über kurz-kurz auf, doch die Schweden waren hierbei etwas präziser, kamen meist zuerst zum Angriff. Im Ballwechsel standen sie dann besser zum Ball und waren dynamischer und kraftvoller.

Die Vorentscheidung brachte das erste Einzel zwischen Dimitrij Ovtcharov und Truls Moregardh. Dima war voll da, hochkonzentriert und wirkte gut vorbereitet. Im ersten Satz hat er direkt versucht, die variantenreiche Rückhand des Schweden zu vermeiden, indem er oft mit dem ersten Ball lang über die Vorhand angefangen hat. Im Laufe des Spiels hat er dann einen guten Mix gefunden aus der Taktik des ersten Satzes und dem Spiel über die Rückhand, die in der aktiven Eröffnung etwas schwächer ist. Vor allem mental hat mir Dima in diesem Spiel gut gefallen - er war hoch fokussiert und hat sich auch von Netzbällen nicht aus dem Konzept bringen lassen. Truls hingegen wirkte in den ersten vier Sätzen mental etwas müde - verständlicherweise, seine typischen Emotionen und Gesten sind zwar bereits ein Markenzeichen von ihm, doch heute waren sie eher negativer Natur. Er regte sich mit fuchtelnden Armen und einem weggekickten Ball über Netzbälle auf und verpasste ein paar Chancen im Angriff.

Im fünften Satz standen bei 6:2 alle Zeichen auf Sieg für Dima. Doch Truls schaffte es, seine Emotionen komplett abzulegen und seinen Tunnel wiederzufinden. Er traf Dimas kurze Vorhand, griff präziser an und drehte tatsächlich noch das Spiel. Bezeichnender Weise gewann er wieder mit einem Aufschlagpunkt. Ein wahrer Champion.

Timo stand nun mit dem Rücken zur Wand. Klar, er hatte das letzte Spiel gegen Källberg gewonnen und sein Düsseldorfer Teamkamerad, der in der Liga Jahr für Jahr überzeugt, ist mental nicht der Stärkste und international bislang unter seinen Möglichkeiten geblieben. Doch in diesem Spiel war die Ausgangslage für Källberg mit der Führung im Rücken gut genug und er traf seine Vorhand, die er mit über 160 rps spielen kann, gut. Timo hingegen brauchte seine Zeit, um ins Spiel zu finden, viele Bälle und Rückschläge gerieten zu unpräzise halblang, halbhoch. Auch wenn es irgendwo sein Spiel und seine Stärke ist, dann zu übernehmen, gelang es ihm heute nicht, die Topspins von Källberg zu neutralisieren. Der Gedanke, dass dies sein letztes internationales Spiel sein könnte, war bestimmt auch im Unterbewusstsein da. Beim Stand von 1:2 Sätzen kam zwar noch einmal Hoffnung auf, doch letztlich musste sich die deutsche Mannschaft den heute stärkeren Schweden beugen. Dima war nach dem Spiel sichtlich verärgert, denn die Chance war da!

Grundsätzlich ist das Erreichen des Viertelfinals bei Olympischen Spielen ein gutes Ergebnis. Und doch sind es die ersten Olympischen Spiele ohne Medaille im Herren-Mannschaftswettbewerb für Deutschland. Sicher wird sich der eine oder andere nun fragen, ob das Spiel mit einer anderen Aufstellung anders verlaufen wäre. Vorher weiß man sowas nie und jetzt lässt es sich nicht mehr ändern. 

Als nach dem Match die ganze Halle „Timo, Timo“ gerufen hat, war zumindest für einen Moment alles andere verdrängt und jeder Zuschauer ehrte die große Legende mit Standing Ovations. Daran ändert auch das heutige Spiel nichts. Dies war ein sehr bewegender Moment, Timo war sichtlich gerührt und er machte seine Fans noch mit T-Shirts glücklich. Er verlässt die internationale Tischtennisbühne als echter Star. Als Spieler, der unvergessen bleibt."
 

Das Spiel im Überblick:

Viertelfinale

Deutschland - Schweden 0:3
Timo Boll/Dang Qiu - Anton Källberg/Kristian Karlsson 0:3 (-10,-8,-8)
Dimitrij Ovtcharov - Truls Moregardh 2:3 (-9,8,7,-8,-9)
Timo Boll - Anton Källberg 1:3 (-7,-9,7,8)

(JS)

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