Auf der Erfolgswelle zur historischen Medaille

Erlebte eine Woche wie im Rausch: Felix Lebrun (© ITTF)

05.08.2024 - Frankreichs Fans lieben Felix Lebrun - und diese Liebe beruht auf Gegenseitigkeit. Vom frenetischen Heimpublikum ließ der Shootingstar sich zur Bronzemedaille im Einzel tragen. Nie hat ein jüngerer Spieler als der 17-Jährige eine olympische Einzelmedaille gewonnen. In Paris spielte der Penholderspieler trotz des Hypes um seine Person gewohnt cool auf. Jetzt möchte er im Team-Wettbewerb gemeinsam mit seinem Bruder Alexis und Simon Gauzy den nächsten Erfolg nachlegen.

Vor dem Einlass auf das Messegelände Paris Expo Porte de Versailles standen am Sonntagmittag einige Fans, die noch verzweifelt nach Tickets suchten. Sie alle wollten nicht zu den Volleyball- oder Handballspielen, die dort parallel ebenfalls stattfanden. „Suche Tickets für Felix“, „Tischtennis-Karten gesucht“, so oder ähnlich waren ihre handgeschriebenen Gesuche formuliert. Natürlich war die South Paris Arena 4 längst ausverkauft, viele französische Fans hatten sich vorher ihre Eintrittskarte für den Finaltag des Herren-Einzel-Wettbewerbs gesichert, in der Hoffnung, dass der an drei gesetzte Felix Lebrun dann dort tatsächlich um eine Medaille spielen würde.

All jene unter den 6.400 Zuschauern, die dem Franzosen die Daumen drückten, dürften ihr Kommen am Sonntag nicht bereut haben. In der Partie um Platz drei spielte der 17-Jährige wie entfesselt auf – und sicherte sich mit einem 4:0-Erfolg über Hugo Calderano die Bronzemedaille. Es war nach Silber für Jean-Philippe Gatien im Jahr 1992 und Bronze für das Duo Gatien/Patrick Chila (Sydney 2000) erst Frankreichs dritte Medaille in der Geschichte der olympischen Tischtennis-Wettbewerbe. Gatien hatte Lebruns Siegeszug natürlich in der Halle verfolgt. „Man muss wirklich die Leistung eines 17-Jährigen würdigen, der ins Halbfinale kommt, dort 0:4 gegen den Weltranglistenzweiten verliert und sich dann noch einmal so aufraffen kann, um diese Bronzemedaille zu holen“, sagte Gatien später gegenüber französischen Medien, „und das gegen einen Spieler, der ihm in den letzten beiden Spielen überlegen war.“ Tatsächlich hatte der junge Franzose die letzten beiden Vergleiche mit Calderano ohne Satzgewinn abgegeben. Diesmal sei es der taktische Plan gewesen, die Ballwechsel möglichst kurz zu halten, verriet er später. „Ich musste es schaffen, Hugo zu stören, ihn zu überraschen, das war mir in den letzten Spielen gegen ihn nicht mehr gelungen.“ Der Plan ging auf – und Lebrun gewann Bronze. Nie war ein Gewinner einer olympischen Einzel-Medaille im Tischtennis jünger.

Anspruchsvolle Auslosung

Als das Match gegen Calderano nach nur 31 Minuten beendet war, spielten sich in der South Paris Arena bewegende Szenen ab. Lebrun und sein Trainer Nathanael Molin wischten sich die Tränen aus den Augen, der 17-Jährige herzte seine Familie, er wurde von seinen Teamkollegen in die Höhe gehoben – und immer wieder animierte Felix Lebrun die ohnehin schon ekstatischen Zuschauer zum mitfeiern, ballte die Faust in Richtung Tribüne, winkte, gab beim rhythmischen Klatschen den Takt vor. „Die Zuschauer geben mir hier wirklich einen Schub“, hatte Lebrun schon nach seinem Viertelfinalsieg über Lin Yun-Ju gegenüber myTischtennis.de gesagt. „Die Atmosphäre toppt wirklich alles, was ich bisher erlebt habe.“

Von der ersten Runde an trug das französische Publikum den Shootingstar durch das Turnier, der 17-Jährige hatte eine anspruchsvolle Auslosung, traf in der 2. Runde auf Anton Källberg, im Achtelfinale auf Dimitrij Ovtcharov. Er überstand auch schwierige Momente wie jenen gegen den Deutschen, als der nach 3:0-Führung Lebruns zum 3:3 ausglich. Für seine Nervenstärke war Felix Lebrun auch vor diesen Olympischen Spielen schon bekannt, trotzdem stellte sich vor Paris die Frage, ob es ihn nicht vielleicht doch ein bisschen einschüchtern würde, beim größten Sportereignis der Welt vor über 6.000 erwartungsfrohen französischens Fans in der Halle und vielen mehr an den heimischen Bildschirmen anzutreten. „Etwas nervös war ich eigentlich nur in der ersten Runde“, sagte Lebrun unter der Woche in der Mixed Zone, „danach war ich dann schnell voll im Turnier.“ Das bekam dann auch Dimitrij Ovtcharov zu spüren, den Lebrun im siebten Satz des Achtelfinal-Matches schnell abhängte. „Felix liefert auf einem unglaublich hohen Niveau“, kommentierte DTTB-Sportdirektor Richard Prause im Podcast "Ping, Pong & Prause". „Er tut dem Tischtennis gut.” Mit seinem Penholdergriff fällt der Blondschopf auf, mit seiner emotionalen Art am Tisch holt er die Fans ab. „Solche Typen brauchen wir im Tischtennis, ich schaue Felix und Alexis gerne zu“, sagte der Schwede Truls Moregardh, als er unter der Woche von französischen Journalisten auf die Lebrun-Bruder angesprochen worden war.

Gemeinsam mit Simon Gauzy haben die Lebrun-Brüder auch in der zweiten Olympia-Woche noch viel vor, im Team-Wettbewerb sind sie an Position drei gesetzt, würden im Halbfinale auf China treffen. Gegen alle Spieler, die im chinesischen Olympia-Team stehen, wartet Felix Lebrun noch auf seinen ersten Sieg. Fan Zhendong stand er im Halbfinale des Einzel-Wettbewerbs gegenüber, die deutliche Niederlage, die er dort kassierte, tat weh. „Felix hat noch Zeit - aber natürlich wollte er diesen Sieg auch jetzt schon“, sagte Trainer Nathanael Molin nach dem Match. „Er hat mich zerstört“, erkannte Lebrun an, „aber ich bin noch so jung, ich werde weitere Chancen gegen sie bekommen.“ Vielleicht schon am kommenden Mittwoch oder Donnerstag, wenn in Paris die Halbfinals im Herren-Team-Wettwerb anstehen – und vor dem Messegelände Paris Expo Porte de Versailles vermutlich wieder ein paar Fans verzweifelt nach Tickets suchen werden, um Frankreichs neuen Tischtennisstar einmal live in der Halle erleben zu können.

(sue)

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