Olympia 2024

Analyse: "Der Olympia-Dima war wieder zu erkennen"

Lennart Wehking und Elke Schall analysieren Dimitrij Ovtcharovs und Nina Mittelhams Spiele für uns (©Heuing/privat)

30.07.2024 - Freud und Leid lagen am vierten Wettkampftag der Olympischen Spiele 2024 in Paris im deutschen Tischtennisteam ganz nah beieinander. Dimitrij Ovtcharov auf der einen Seite, der sich souverän ins Achtelfinale spielte, und Nina Mittelham auf der anderen, die von Rückenproblemen gestoppt wurde. Lennart Wehking und Elke Schall nehmen die beiden Spiele in unserer Experten-Analyse noch einmal ganz genau unter die Lupe.

Lennart Wehking, Plattenplauscher und Drittligaspieler beim TuS Celle, über Dimitrij Ovtcharovs Zweitrundensieg gegen Vitor Ishiy: „Insgesamt ein wirklich überzeugender Sieg von Dima - ein 4:1, das auch 4:0 hätte ausgehen können. Gegen Vitor Ishiy ist er sicherlich haushoher Favorit, aber ich fand ihn enorm stabil, vor allem im allerersten Satz, in den er schon mit einer guten Körpersprache gegangen ist. Der Olympia-Dima war auf jeden Fall wieder zu erkennen, sehr positiv, kein Hadern. Das war von der Körpersprache her sehr souverän und professionell, so wie ich es erwartet habe, dass Dima bei den Olympischen Spielen wieder aufläuft.

Er hat seine Taktik extrem klar durchgespielt und ist vor allem in den Momenten, in denen es im zweiten und dritten Satz etwas knapper wurde, als Vitor Ishiy volles Risiko gegangen ist, ruhig geblieben, hat das Tempo mal rausgenommen oder die Platzierung noch mal clever verändert. Taktisch hat Vitor Ishiy versucht, mit seinen vielen langen Aufschlägen auf den Ellbogen oder in die Ecken die Eröffnung von Dima direkt zu übernehmen, um dann mit seiner starken Rückhand am Tisch und dem Umlaufen auf Punkt zu gehen. Das hat er vor allem im vierten Satz, den er noch gedreht hat, auch häufig geschafft und einige schnelle Punkte gemacht. Ishiy hat insgesamt aber einen Tick zu schwach eröffnet, so dass Dima immer gucken konnte, ob er platziert blockt oder sofort dagegengeht. In den Rallyes fand ich Dima sehr stabil, hier hat er auch von hinten ein paar wichtige Punkte geholt. In den Vorhand-Vorhand-Duellen hat er, glaube ich, keine einzige Rallye verloren. Da sieht man auch den Klassenunterschied zwischen den beiden - dass Dima kaum Chancen liegen gelassen hat, Vitor Ishiy aber pro Satz mindestens zwei, drei ‚leichte‘ Fehler gemacht hat. 

Und doch sieht man wieder, dass bei den Olympischen Spielen die Anspannung so groß ist, dass im vierten Satz etwas passiert ist, was man gerade von Dima selten sieht. Einmal kurz die Spannung verloren, ein paar schlechte Entscheidungen getroffen, das Konzept nicht hundertprozentig durchgespielt - und schon stand es dann 10:10 und der Satz ging noch weg. Umso stärker ist der fünfte Satz zu bewerten, in dem er wieder sehr souverän auftrat und seine Taktik wiedergefunden hat. Da hat er die Rückhand-Rückhand-Duelle wieder dominiert und auch mit Tempowechseln überzeugt. 

Leichte Probleme hatte Dima mit Ishiys Seitüberschnittaufschlägen. Da muss er sich sicherlich auch für die Partie gegen Félix Lebrun etwas überlegen. Gegen Ishiy ist er häufig mit seinem Schupfball rangegangen, der natürlich sehr viel Schnitt hat, aber halb hoch kam. Félix Lebrun würde auf diese Bälle, glaube ich, noch einmal mehr Druck ausüben und deutlich häufiger ‚Winner‘ spielen. Das war noch ein kleines Manko, an dem er vor der Achtelfinalpartie sicher noch einmal arbeiten wird. Mit der Körpersprache und Positivität, die Dima ausstrahlt, wird das, glaube ich, aber ein ganz, ganz heißes Match gegen Lebrun.“


Die fünffache Olympionikin Elke Schall, die Teil des Trainerteams der deutschen Damen-Nationalmannschaft ist, über Nina Mittelhams Aus in der zweiten Runde: „Eine ganz, ganz bittere Niederlage, da die Gegnerin wirklich wie für Nina gemacht war. Einfach bitter, dass der Körper da nicht gehalten hat. Die Bandscheibe hat sie vor ein paar Wochen schon einmal beschäftigt, da konnte man das mit Spritzen hinkriegen. Eineinhalb Wochen vor Paris ist das noch mal aufgebrochen. Dass das nicht hundertprozentig stabil ist, war also, glaube ich, klar. Aber dass das jetzt ausgerechnet in so einem Spiel noch mal hochkommt…

Man hat gesehen, dass sich Nina, als ihr der Schmerz in den Rücken gefahren ist, überhaupt nicht mehr auf die Taktik konzentrieren konnte. Sie hat nur noch gehofft, dem Schmerz irgendwie aus dem Weg zu gehen. Nina hat sich seit Jahren akribisch körperlich und in ihren spielerischen Qualitäten weiterentwickelt und konstant an ihren Schwächen gearbeitet. Im ersten Satz hat man gesehen, dass, wenn Nina ihre Spin-Variationen spielt, nicht immer nur auf Schnelligkeit geht, es für sie eigentlich ein Klacks war, übertrieben gesagt. Sie wusste, dass so eine Spielerin wie die Nordkoreanerin sie erst einmal schlagen muss, auch wenn da nur noch eine Nina Mittelham mit 20, 30 Prozent steht. Es sind die Olympischen Spiele und sie hat es trotz der Rückenprobleme immer noch weiter versucht. Ganz, ganz schade, dass es am Ende nicht gereicht hat.

Ich muss sagen, dass Nina für mich eine Geheimfavoritin war. Mit einer guten Auslosung und wenn sie optimal spielt, habe ich sie schon zu dem Kreis derjenigen gezählt, die eine Chance auf eine Medaille hat. Dass das jetzt so endet, ist natürlich extrem bitter - auch gerade nach München (Anm. d. Red.: Bei der EM 2022 musste Mittelham im Finale verletzungsbedingt aufgeben). Die Verletzungsmisere der deutschen Damen nimmt leider kein Ende. Wir müssen uns Gedanken machen, wo wir weiterhin dran arbeiten. Ying Han mit dem Achillessehnenriss, Sabine Winter und Nina mit Bandscheibenproblemen, Xiaona Shan hatte vor ein paar Wochen auch im Nackenbereich mit den Bandscheiben zu kämpfen. Wir müssen da in Ruhe überlegen, was wir machen können, damit die Körper der Mädels den Widerständen standhalten.“ 


Die Spiele im Überblick:

Herren-Einzel

2. Runde (32)
Dimitrij Ovtcharov - Vitor Ishiy BRA 4:1 (4,8,9,-11,4)

Achtelfinale
Dimitrij Ovtcharov - Félix Lebrun FRA, Mittwoch 15 Uhr


Damen-Einzel

2. Runde (32)
Nina Mittelham - Pyon Song Gyong PRK 3:4 (6,9,-9,-8,-8,7,-7)

(JS)

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