Olympia 2024

Analyse: "Kirill hat Dangs Lieblingskombi vermieden"

Ex-Damen-Bundestrainer Jörg Bitzigeio und Nationalspieler Kilian Ort analysieren die heutigen Spiele mit deutscher Beteiligung (©Heuing/ITTF/zweikomma)

29.07.2024 - Mit Nina Mittelham und Dang Qiu waren am Montag zwei Deutsche im Einzelwettbewerb der Olympischen Spiele 2024 in Paris gefordert. Den Auftritt der Berlinerin nahm der ehemalige Damen-Bundestrainer Jörg Bitzigeio für uns noch mal genauer unter die Lupe. Während Mittelham nun das Achtelfinale ins Visier nimmt, ereilte Dang Qiu gegen Kirill Gerassimenko ein bitteres Zweitrunden-Aus. Die Experten-Analyse liefert Kilian Ort.

Der ehemalige Damen-Bundestrainer Jörg Bitzigeio über Nina Mittelhams Auftaktmatch gegen die Australierin Minhyung Jee: „Das war ein bravouröser Auftritt von Nina, ein sehr souveräner 4:0-Sieg zum Einstieg in den Einzelwettbewerb. Nina hat sehr konsequent umgesetzt, was sie gemeinsam mit Bundestrainerin Tamara Boros und mir taktisch vorbereitet hat. Sie war sehr gut eingestellt auf das etwas unorthodoxe und unkonventionelle Spiel mit der Noppe hauptsächlich auf der Rückhandseite von der Australierin. Sie hat sehr variabel dagegen agiert, immer wieder gute Wechsel gespielt - entweder mit geduldigen ersten Eröffnungsbällen, um von der Noppe auch mal einen etwas kürzeren höheren Ball zu bekommen, wo sie dann gut reingehen und sofort auf den Punktgewinn gehen konnte. Oder sie hat sofort versucht, mit dem ersten Topspin aggressiv zu eröffnen und die Australierin da mit Tempo- und Platzierungswechseln zu überraschen.

In den ersten beiden Sätzen hat das sehr gut funktioniert, um schnelle Punkte zu erzielen, später hat sich die Australierin da deutlich besser drauf eingestellt. Aber Nina war auch darauf vorbereitet, längere Ballwechsel zu gehen und dort dann geduldig auf ihre Chance zu warten, sich immer wieder Möglichkeiten herauszuspielen. Mit der Noppe selbst hatte sie keine großen Probleme, sie spielt von Haus aus gut gegen Noppen, weil sie als Kind früher schon viel gegen Material trainiert hat.

Ich fand auch wichtig, dass sie gut platzierte Schupfbälle gespielt hat. Das war auch ein Thema in der Vorbereitung, weil sie da beim letzten Spiel gegen Manika Batra vor einigen Monaten Probleme mit hatte. Da hat Nina wirklich gut über die tiefen Ecken gespielt, so dass die Australierin nicht aggressiv angreifen konnte und Nina dann auch gerade ihr aktives Passivspiel nutzen konnte, um sich Vorteile zu verschaffen.

Nina ist ihrer Favoritenrolle gerecht geworden, hat sie angenommen und ausgespielt. Ihre Körpersprache hat von Beginn an deutlich gemacht, dass nur sie diejenige ist, die als Siegerin vom Tisch gehen kann. Sie hat die Atmosphäre genossen, hat Spaß gehabt. Das war ein verdienter 4:0-Sieg vor tollem Publikum, so lässt sich ein Turnier im Einzel angehen.“

Bundesligaspieler Kilian Ort über Dang Qius Zweitrunden-Aus gegen Kirill Gerassimenko: „Dang wird sich sicherlich ein anderes Los gewünscht haben. Er hat - wie er selbst vor dem Spiel gesagt hat - schon öfters gegen ihn verloren, zuletzt bei der Mannschafts-WM. Kirill ist ein sehr beweglicher Spieler, der extrem viele Bälle zurückbringt. Das hat er auch heute wieder bewiesen. Gerassimenko möchte in die Ballwechsel gehen und macht deswegen viele leere bzw. Überschnitt-Aufschläge. Im Ballwechsel positioniert er sich gerne zwei bis drei Schritte hinter dem Tisch.

Ab dem zweiten Satz hat er dort seine Wand aufgestellt, während Dang tischnäher agiert hat. Man hatte die ganze Zeit über das Gefühl, dass Gerassimenko Dangs Bälle einfach mag und sehr gut mit ihnen zurechtkommt. Die parallele Rückhand aus der Rückhand-Rückhand-Diagonalen heraus ist Dang ab dem dritten Satz gut gelungen. Da hat er ihn einige Male erwischt und ihm richtig wehgetan. Da Kirill dies gemerkt hat, hat er selbst versucht, Dang mehr in dessen Mitte oder Vorhand anzuspielen. So konnte er Dangs Lieblingskombi "RH diagonal und dann RH parallel" vermeiden.

Dang hatte natürlich seine Chancen. Nach dem 3:1 sah es so aus, als könnte er das Spiel auf seine Seite ziehen. Dang ist über dem Tisch der bessere Spieler und konnte dies auch lange ausnutzen. Gerassimenko hat sich besonders in der kurzen Vorhand über Jahre verbessert – auch wenn er dort immer noch ein kleines Loch hat. Abgesehen von Rückschlag- oder Schupffehlern ist es gegen ihn im Ballwechsel extrem schwer. Dang musste schon fünf bis sieben Top-Bälle spielen und immer wieder kam er an die Grundlinie zurück.  

Es war einfach sehr bitter, dass Dang seine Chance nicht nutzen konnte. Der Netzroller bei 3:2 und 9:8 kommt dann auch noch dazu. Es war ohne die deutsche Brille ein schön anzusehendes Spiel. Dang hätte den Sieg genauso verdient gehabt, Gerassimenko hat aber herausragend gespielt und keineswegs unverdient gewonnen. Dang muss sich für diese Leistung auf gar keinen Fall schämen. Ich bin zuversichtlich, dass die Männer im Teamwettbewerb auf dem Podest stehen werden."

Die Spiele im Überblick

Damen-Einzel

1. Runde (64)
Nina Mittelham - Minhyung Jee AUS 4:0 (7,9,7,8)

2. Runde (32)
Nina Mittelham - Pyon Song Gyong PRK, Dienstag 11 Uhr

Herren-Einzel

2. Runde (32)
Dang Qiu - Kirill Gerassimenko KZA 3:4 (6,-6,11,5,-5,-9,-6)

(JS/FKT)

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