30.07.2021 - Die Niederlage gegen Ma Long im Halbfinale ist freilich noch nicht verdaut, doch Dimitrij Ovtcharov hat sich selbst ein riesiges Trostpflaster auf seine Wunde geklebt. In einem hochklassigen Spiel um Platz drei mit vielen Richtungswechseln besiegte er den Taiwaner Lin Yun-Ju, der im sechsten Satz bereits vier Matchbälle hatte. Ovtcharov ist damit der erste deutsche Tischtennisspieler, der in der olympischen Geschichte zwei Einzelmedaillen gewonnen hat.
Dimitrij Ovtcharov ließ seinen Schläger fallen, schlug die Hände vors Gesicht und blieb sekundenlang so stehen. Diese Zeit brauchte er wohl, um zu realisieren, dass es diesmal gut ausgegangen war. Bereits gestern hatte er ein ebenso spannendes Sieben-Satz-Match absolviert und denkbar knapp noch gegen Ma Long verloren. Diesmal war er am Ende der Glückliche, der dafür auch noch mit Bronze belohnt wurde. „Es hat gestern jemand zu mir gesagt, dass ich es mein ganzes Leben lang bereuen werde, wenn ich heute nicht alles gebe. Und das habe ich beherzigt und alles reingelegt, was ich konnte“, erzählte der fassungslose Ovtcharov.
Emotionale Achterbahnfahrt
Nach der bitteren Niederlage von gestern hatte er seinem Vater noch gesagt, dass sie so sehr schmerzt, dass er glaubt, nie wieder Tischtennis spielen zu können. Die Antwort lautete: „Wenn du Bronze gewinnst, sieht die Welt schon wieder ganz anders aus.“ Den Eindruck machte Ovtcharov auch, der sich über Bronze freute wie ein Schneekönig. Ein Grund dafür war sicherlich auch die Art und Weise, wie er diese zweite Einzelmedaille nach dem Erfolg von 2012 gewonnen hatte. Denn auch in diesem Spiel fuhr die Achterbahn wieder einige Loopings und schüttelte die Spieler ordentlich durch. „Ich befinde mich schon seit 96 Stunden in einer emotionalen Achterbahnfahrt“, erzählte Ovtcharov. „Vier Tage olympisches Einzelturnier sind wie vier Jahre im normalen Leben.“ Gegen Hugo Calderano war er schon fast rausgeflogen, gegen Ma Long war er so nah dran am Sieg wie noch nie und musste eine seiner bittersten Niederlagen einstecken. Und auch im Spiel um Platz drei war die Bronzemedaille eigentlich schon fast vergeben - allerdings an Lin, nicht an Ovtcharov.
„Einer von seinen Matchbällen im sechsten Satz stand so gut, da dachte ich, das war es jetzt für mich“, erinnerte sich der 32-Jährige. „Als er ihn nicht verwandelt hat, dachte ich: Das war jetzt eine Hilfe von ganz oben.“ Bis zu diesem Punkt war das Spiel hin und her geschwappt. Den besseren Einstieg hatte Ovtcharov gefunden, dann hatte Lin das Ruder übernommen, wurde von ‚Dima‘ aber beim Stand von 2:2 wieder eingeholt. In besagtem sechsten Satz hatte Lin dann vier Matchbälle, die er allesamt vergab. Hier bewies Ovtcharov ein weiteres Mal seine mentale Stärke und rettete sich in den siebten Satz, den er dominierte. Als eine 9:3-Führung auf 9:7 schmolz, hielten die deutschen Fans noch einmal den Atem an, doch dann kam der erlösende Punkt zum 11:7, was auch Ovtcharov kaum glauben konnte.
"Herausragendes Ergebnis"
„Das war ein Wahnsinnsspiel und ist ein herausragendes Ergebnis“, lobte Bundestrainer Jörg Roßkopf. „Das haben wir gebraucht und auch verdient, weil wir hier unheimlich gut spielen. Es wäre sehr bitter gewesen, wenn wir aus dem Mixed und Einzel ohne Medaille gekommen wären.“ Was mit Ovtcharovs Medaille passiert, ist übrigens offenbar schon geklärt: „Seine Tochter hat sich gewünscht, dass er ihr etwas aus Tokio mitbringt, am liebsten eine Medaille“, erzählte ‚Rossi‘, wie er seinem Schützling nach dem schweren Match gegen Ma Long neue Motivation gegeben hat. Die kleine Emma kann sich schon mal auf etwas Glitzerndes freuen - und vielleicht kommt ja noch mehr dazu. Der Teamwettbewerb beginnt am Sonntag.
Herren-Einzel
Spiel um Bronze
Lin Yun-Ju TPE - Dimitrij Ovtcharov 3:4 (-11,9,6,-4,4,-13,-7)
(JS)
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