25.07.2021 - Wenn man im siebten Satz eines Olympia-Viertelfinals mit 9:2 führt, sich später sieben Matchbälle erarbeitet und dennoch verliert, gibt es keine tröstenden Worte mehr. Petrissa Solja und Patrick Franziska hatten in Tokio die Riesenchance auf das Halbfinale und eine olympische Medaille im ersten Mixed-Wettbewerb der Olympia-Geschichte, doch vergaben sie noch, obwohl sie bereits wie die sicheren Sieger aussahen. Stattdessen sind ihre Gegner Mima Ito und Jun Mizutani weiter.
Es war eines dieser Spiele, die man keinem Sportler wünscht. Mit mehr als einem Bein hatten Petrissa Solja und Patrick Franziska schon im Olympia-Halbfinale gestanden, wo nicht etwa die topgesetzten Chinesen, sondern Lin Yun-Ju und Cheng I-Ching aus Taiwan gewartet hätten. Die beiden Deutschen führten mit 9:2, der Weg zur Medaille wirkte auf einmal nicht mehr so steinig, die Chance war zum Greifen nah. Doch dieser eine entscheidende Punkt, dem das Duo ganze sieben Mal hinterherjagte, ließ sich einfach nicht eintüten. Am Ende zog einer von Mima Itos gefürchteten Aufschlägen, die heute bis zu diesem Punkt oft nicht ihre gewohnte Durchschlagskraft hatten. Die Japaner, die auf heimischem Boden Gold gewinnen wollen, belohnten sich für ihre unglaubliche Aufholjagd und machten den Punkt zum 16:14. „Wir hatten einen super Start in den siebten Satz und viele Möglichkeiten, den Sack zuzumachen“, erklärt Bundestrainer Jörg Roßkopf. „Es waren am Ende keine unmöglichen Bälle, die Japaner haben einfach einen Punkt mehr auf den Tisch gebracht.“
"Gefühl, sie im Griff zu haben"
Doch zurück zum Spielbeginn, als die beiden Deutschen erst ein paar Punkte brauchten, ums ins Spiel zu finden, dann aber die Kontrolle übernahmen. „Wir haben schon im ersten Satz gemerkt, dass sie uns liegen könnten“, erzählt Franziska. „Wir hatten das Gefühl, sie im Griff zu haben.“ Nach dem ersten verlorenen Satz dominierten sie die Japaner in Durchgang zwei und drei, denen man die aufkommende Nervosität anmerken konnte. Gerade im Aufschlag-/Rückschlagbereich, den zu verbessern sich das deutsche Duo gestern vorgenommen hatte, funktionierte in dieser Phase vieles gut. Dass Mima Ito und Jun Mizutani noch nicht abzuschreiben waren, zeigten sie jedoch eindrucksvoll im nächsten Satz, in dem sie den 2:2-Ausgleich holten. Den nächsten großen Schritt in Richtung Halbfinale machten dann aber Solja und Franziska, die den ausgeglichenen fünften Satz gewannen und sich damit die erste Chance auf den Sieg sicherten. Doch das Spiel ging in den siebten Durchgang und wurde zur Nervenschlacht.
Schon zu Beginn des entscheidenden Satzes sprach alles für die Deutschen. Beim Stand von 5:0 wechselten sie die Seiten, wenig später stand es 7:1, dann 9:2. An diesem Punkt, als der Einzug ins Halbfinale nur noch zwei Schritte entfernt war, kam aber der Einbruch. Die Japaner brachten ihre Bälle sicher auf den Tisch, die Deutschen machten Fehler nach Fehler. Beim Stand von 9:5 versuchte Roßkopf, seine Schützlinge noch einmal mit einem Time-Out auf Kurs zurückzubringen, wenig später glückte dann auch tatsächlich der zehnte Punkt und damit standen Solja/Franziska vier Matchbälle zur Verfügung. Doch ihr Vorsprung wurde egalisiert. Der Satz ging in die Verlängerung, es folgten drei Matchbälle für Deutschland und zwei für Japan. Beim Stand von 16:14 waren es schließlich die Japaner, die jubelten, und die Deutschen, die ungläubig vor sich hinstarrten. „Das Traurigste ist, dass wir so hoch geführt haben“, findet Solja. „Wenn es ausgeglichen gewesen wäre und wir dann nach großem Kampf verloren hätten, wäre das auch schlimm gewesen, aber nicht so schmerzhaft wie so.“
"Habe mich darauf vorbereitet"
Den Japanern, die hier unter immensem Druck stehen, fiel derweil hörbar ein Stein vom Herzen. Sie werden im Halbfinale um 14 Uhr deutscher Zeit gegen Lin Yun-Ju/Cheng I-Ching um den Einzug ins Finale spielen. Im anderen Halbfinale stehen sich zuvor Xu Xin/Liu Shiwen und überraschenderweise Emmanuel Lebesson/Yuan Jia Nan gegenüber. Die Franzosen hatten in einem engen Match Wong Chun Ting/Doo Hoi Kem aus Hongkong besiegt und sind nun die einzigen verbliebenen Europäer im Wettbewerb. Das deutsche Duo geht nun erst einmal getrennte Wege: Franziska hat Zeit, die Niederlage zu verkraften, bis er im Teamwettbewerb wieder in die Box muss. Für Solja geht es morgen bereits im Einzel weiter. „Es wird mich noch ärgern, aber ich habe mich vor Tokio schon darauf vorbereitet, dass ich irgendwann an einen Punkt komme, an dem ich in dem einen Wettbewerb rausgeflogen bin, aber in einem anderen weiterspielen darf“, erzählt Solja. „Gib mir ein paar Minuten und dann kenne ich mich so gut, dass ich weiß, dass ich das für die kommenden Wettbewerbe hinter mir lassen kann.“
Die Spiele im Überblick
Mixed-Doppel
Viertelfinale
Xu Xin/Liu Shiwen CHN - Ovidiu Ionescu/Bernadette Szöcs ROU 4:0 (6,1,6,10)
Emmanuel Lebesson/Yuan Jia Nan FRA - Wong Chun Ting/Doo Hoi Kem HKG 4:3 (3,-6,-7,8,-9,7,11)
Lin Yun Ju/Cheng I-Ching TPE - Lee Sangsu/Jeon Jihee KOR 4:2 (-7,4,-7,7,8,7)
Patrick Franziska/Petrissa Solja - Jun Mizutani/Mima Ito JPN 3:4 (-8,5,3,-3,9,-8,-14)
Halbfinale
Xu Xin/Liu Shiwen CHN - Emmanuel Lebesson/Yuan Jia Nan FRA, 13 Uhr
Lin Yun Ju/Cheng I-Ching TPE - Jun Mizutani/Mima Ito JPN, 14 Uhr
(JS)
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