Fertig mit den Nerven, aber überglücklich: Petrissa Solja hat nach zwei 4:3-Krimis zum ersten Mal das EM-Halbfinale im Einzel erreicht (©ETTU)
26.06.2021 - Insgesamt vier Deutsche haben bei der EM in Warschau im Einzel den Sprung ins Halbfinale geschafft. Bei den Damen erreichte Petrissa Solja zum ersten Mal in ihrer Karriere das Halbfinale, auch Shan steht in der Vorschlussrunde. Bei den Herren sind Timo Boll und Dimitrij Ovtcharov die beiden letzten Eisen im Feuer. Beendet ist das Turnier im Einzel dagegen für Benedikt Duda, Ruwen Filus, Patrick Franziska, Han Ying und Sabine Winter.
Als letzter Deutscher an diesem Wettkampftag gelang Dimitrij Ovtcharov der Sprung in die Vorschlussrunde. Nach einem schwierigen Spiel und einem 4:2-Erfolg gegen Kristian Karlsson im Achtelfinale am Samstagnachmittag ("Er hat sehr stark gespielt im ersten Satz, danach hatte ich das Spiel ganz gut unter Kontrolle, habe gut gespielt", Zitat Ovtcharov) stand der Orenburger am Abend dem Tschechen Lubomir Jancarik gegenüber. Ovtcharov trat hochkonzentriert auf, sicherte sich die 3:0-Führung, musste trotz eines 8:5-Vorsprung im vierten Durchgang aber letztlich über die volle Distanz von sieben Sätzen gehen, um ins Halbfinale einzuziehen. "Das war ein super hartes Match. Ich habe in den ersten Sätzen mein bestes Tischtennis in diesem Turnier gespielt. Die 8:5-Führung im vierten Satz habe ich nicht nutzen können und Lubomir hat immer besser gespielt. Die Chancen, die sich danach boten, habe ich zum Teil nicht nutzen können. Ich bin froh, dass ich ruhig geblieben bin und das Spiel am Ende nach Hause gebracht habe", so Ovtcharov nach dem Marathonmatch.
Zuvor hatte Timo Boll seinen Düsseldorfer Mannschaftskollegen Anton Källberg bezwungen – überraschend klar in nur fünf Sätzen. Im Training habe das gegen den Schweden zuletzt ganz anders ausgesehen, erklärte Boll, da habe er häufig das Nachsehen gehabt. "Ich glaube, er war selbst ein bisschen überrascht, dass ich sein Tempo diesmal mitgehen konnte. Das war meine beste Leistung in den letzten ein, zwei Jahren überhaupt", so Bolls Einordnung. Eine solche Leistung habe es auch gebraucht, um den bilanzstärksten Bundesligaspieler (25:2 in der regulären Saison) der vergangenen Saison zu bezwingen. Källbergs Landsmann Falck wiederum, der kommende Gegner im Halbfinale, sei eine Wundertüte. Vor ein paar Jahren habe Boll gegen ihn noch häufig gewonnen, zuletzt in der Bundesliga aber eine Klatsche kassiert. "Wichtig wird sein, gut gegen ihn ins Spiel zu starten."
Duda muss sich Boll nur knapp geschlagen geben
Im Achtelfinale am Samstagnachmittag hatte Boll sich gegen seinen Nationalmannschaftskollegen Benedikt Duda behauptet, nach spannendem Spiel im Entscheidungssatz. Angesichts der verpassten Chancen erklärte Duda enttäuscht: "Ich habe zwei, drei Möglichkeiten gehabt bei Führung im dritten Satz, bis 7:5 lief da alles in Ordnung. Die Chancen habe ich aber liegen lassen, und Timo hat perfekte Bälle gespielt in diesen Situationen, das ist eben Timo Boll." Der Rekordeuropameister meinte: "Das war definitiv kein Spaziergang. Bene hat sich gut entwickelt, hat gute Bälle gespielt." Der Bergneustädter sei "einer der fittesten Spieler auf der Tour, das macht es für mich als 40-Jährigen natürlich schwer."
Wie er schon am Vortag vermutet hatte, tat sich Ruwen Filus am anderen Tisch gegen Anton Källberg im Achtelfinale schwer. Gestern hatte der 33-Jährige schon berichtet, "in den letzten vier, fünf Jahren kein Spiel gegen Anton" gewonnen zu haben. Diese schwarze Serie setzte sich heute fort, Filus unterlag dem Schweden mit 1:4. "Das war eine relativ klare Sache. Kleine Chancen hatte ich, den zweiten Satz gewonnen, im dritten bin ich am Anfang vorne gewesen. Im offenen Spiel hatte ich das Gefühl, etwas machen zu können, aber im Aufschlag-Rückschlagspiel hatte ich wenig entgegenzusetzen", so Filus' Einschätzung zur Niederlage.
In der Folge schied dann auch noch Patrick Franziska in der Runde der letzten 16 aus. Gegen Ovidiu Ionescu musste er sich mit 0:4 geschlagen geben. "Wenn er so spielt, dann weiß ich nicht, was ich machen soll. Er hat richtig gut gespielt, maximal einen Ball gebraucht." Nach dem Aus in allen drei Wettbewerben zog der Saarbrücker eine gemischte Turnierbilanz: "Es waren gute Spiele dabei und weniger gute. Ich bin natürlich schon enttäuscht, hatte mir mehr ausgerechnet, habe gekämpft und alles gegeben."
Solja zum ersten Mal im EM-Halbfinale im Einzel
Fertig mit der Welt war nach dem heutigen Wettkampftag Petrissa Solja: Zwei absolute Krimis im Einzel hatte sie am Samstag überstehen müssen. Im Viertelfinale gegen die Portugiesin Fu Yu erspielte sich die Deutsche einen 3:0-Vorsprung und im fünften Satz auch zwei Matchbälle, die sie aber nicht nutzte. So ging das Spiel mit dem 'psychologischen Vorteil' für Fu Yu in den Entscheidungssatz. Nach gutem Beginn der Portugiesin riss Solja die Kontrolle über das Spiel wieder an sich und fuhr den Satz letztlich mit 11:4 nach Hause, machte damit in ihrem fünften Viertelfinale den ersten Einzug in ein EM-Halbfinale perfekt. Unter Freudentränen erklärte sie: "Ohne die Unterstützung aus den deutschen Reihen hätte ich das Spiel nicht mehr gewinnen können, das war der entscheidende Faktor. Es ist ein schönes Gefühl, im Viertelfinale zu stehen." Dort geht es am Sonntagvormittag gegen Elizabeta Samara, gegen die Solja "insgesamt häufiger gewonnen als verloren hat" und im offenen Spiel ihre Chancen sieht.
Noch nervenaufreibender als das Viertelfinale war zuvor das Achtelfinale gegen die Polin Natalia Bajor gewesen. Solja lag mit 0:2- und 2:3 nach Sätzen zurück gegen die Lokalmatadorin und musste im sechsten Satz auch insgesamt zwei Matchbälle abwehren. Nach starkem Beginn in den Entscheidungssatz wurde es zum Ende hin noch einmal knapp, doch Solja behielt mit 11:9 die Oberhand.
Auch Shan Xiaona sicherte sich ihren Platz im Halbfinale und damit die sichere Medaille. Nach einem ungefährdeten 4:0-Sieg gegen die Luxemburgerin Sarah de Nutte im Achtelfinale musste sich die 38-Jährige gegen Linda Bergström im Viertelfinale mehr strecken. Die Schwedin zeigte, warum sie gestern Bernadette Szöcs und heute im Achtelfinale Barbora Balazova aus dem Turnier geworfen hatte, und gewann auch gegen Shan die ersten beiden Sätze. Erst danach fand die Deutsche besser ins Spiel und holte sich die vier verbliebenen Durchgänge. Shan erläuterte im Anschluss: "Ich kam mit ihrer langen Noppe und ihren langsamen Vorhand-Topspins nicht wirklich zurecht. Man erwartet zwar immer, dass ich gegen Abwehr gewinne, aber ein Selbstläufer ist das nicht. In der Champions League hatte ich mal 3:0 gegen Linda gewonnen, aber auch in einer kleineren Halle." Shan bekommt es am Sonntag in der Vorschlussrunde mit der Noch-Vize-Europameisterin Margaryta Pesotska aus der Ukraine zu tun.
Han unterliegt Winter
Sabine Winter, als Qualifikantin ins Turnier gestartet, schied heute im Viertelfinale trotz guter Leistung gegen Elizabeta Samara aus, mit 2:4 unterlag sie der rumänischen Europameisterin von 2015. "Ich war auf einem guten Weg. Nachher hat sie allerdings noch mehr Aufschlagvarianten ausgepackt und mit ihrem Aufschlag hatte ich ohnehin schon Probleme, dadurch habe ich dann noch mehr Fehler gemacht. Schade ist, dass ich den Satzball im dritten Satz nicht genutzt habe", analysierte Winter die Niederlage und die verpasste Chance, zur schon sicheren Medaille im Doppel, noch weiteres Edelmetall hinzuzufügen.
Im Achtelfinale hatte Sabine Winter im deutschen Duell Han Ying bezwungen in fünf Sätzen, die alle nur mit zwei Punkten Unterschied endeten. "Mit dem Weiterkommen hatte ich nicht gerechnet. Ich wollte um jeden Ball kämpfen, hatte mir eine andere Taktik zurechtgelegt, da ich dachte, sie würde mehr angreifen, was nicht der Fall war. So konnte ich dann aber am ganzen Tisch mit der Vorhand angreifen", erläuterte Winter ihr Erfolgsrezept gegen Han. Diese ärgerte sich: "Ich habe zu passiv gespielt, die Bälle aber auch nicht richtig gefangen, sodass ich keine Ruhe hatte, anzugreifen. Wahrscheinlich war ich auch zu nervös, wollte natürlich gewinnen heute. Dass ich Chancen habe liegen lassen, hat es natürlich umso schwerer gemacht."
So waren die Spiele im Doppel am Samstag gelaufen
Die Spiele im Einzel am Samstag und Sonntag in der Übersicht:
Herren-Einzel
Achtelfinale
Ruwen Filus - Anton Källberg SWE 1:4 (-6,11,-5,-2,-9)
Timo Boll - Benedikt Duda 4:3 (7,-8,7,-9,5,-9,5)
Patrick Franziska - Ovidiu Ionescu ROU 0:4 (-8,-4,-7,-9)
Dimitrij Ovtcharov - Kristian Karlsson SWE 4:2 (-5,9,4,-9,4,6)
Viertelfinale
Timo Boll - Anton Källberg SWE 4:1 (10,-15,8,8,14)
Dimitrij Ovtcharov - Lubomir Jancarik CZE 4:3 (7,7,9,-9,-7,-9,8)
Halbfinale
Timo Boll - Mattias Falck SWE, Sonntag 12.10 Uhr
Dimitrij Ovtcharov - Marcos Freitas POR, Sonntag 13 Uhr
Damen-Einzel
Achtelfinale
Shan Xiaona - Sarah de Nutte LUX 4:0 (4,5,5,5)
Han Ying - Sabine Winter 1:4 (-9,-9,9,-9,-10)
Petrissa Solja - Natalia Bajor POL 4:3 (-16,-8,2,8,-9,11,9)
Viertelfinale
Shan Xiaona - Linda Bergström SWE 4:2 (-10,-9,8,4,8,8)
Sabine Winter - Elizabeta Samara ROU 2:4 (9,-7,-11,8,-7,-4)
Petrissa Solja - Fu Yu POR 4:3 (6,11,2,-8,-13,-2,4)
Halbfinale
Shan Xiaona - Margaryta Pesotska UKR, Sonntag 10.30 Uhr
Petrissa Solja - Elizabeta Samara ROU, Sonntag 11.20 Uhr
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