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Dietmars Blog: Was von Tokio bleiben wird (kann)

Gemischte Mannschaftsduelle mit spannendem Modus fände Dietmar Kramer attraktiv (©ITTF)

17.08.2021 - Gefühlt schneller als jemals zuvor werden die Erinnerungen an die Olympischen Spiele von der Aktualität überholt. Nicht einmal zwei Wochen nach der Schlussfeier in Tokio beginnt am Wochenende bereits wieder die Bundesliga. Vor der Einkehr des Alltags jedoch fasst unser Blogger Dietmar Kramer die wichtigsten Erkenntnisse aus dem Abschneiden der deutschen Olympia-Teilnehmer in Japan zusammen und blickt gleichzeitig schon in Richtung Paris 2024.

Siege, Triumphe gar, Niederlagen, aber auch regelrechte Dramen – die deutschen Tischtennis-Asse er- und durchlebten bei den Olympischen Spielen nahezu die Gesamtbreite von Emotionen im Sport. Durch seine Auftritte, aber nicht zuletzt natürlich auch wegen seiner Erfolge darf sich Tischtennis nach Tokio als einer der großen Gewinner im sogenannten „Team D“ fühlen. Neben den Medaillen für Dimitrij Ovtcharov (Bronze), die Herren-Mannschaft (Silber) und einen virtuellen Podestplatz für das Damen-Team (Halbfinale) war das öffentliche Interesse an Timo Boll und Co. ein überaus erfreuliches Ergebnis.

Regelmäßige Marktanteile bei den Fernsehübertragungen im Bereich der 20-Prozent-Marke sind, wenn auch bislang nur semi-offiziell, womöglich der größte Erfolg für das deutsche Tischtennis in Nippon gewesen. Kombiniert mit dem unüberhörbaren Rauschen im Blätterwald der deutschen Zeitungen lag Herren-Bundestrainer Jörg Roßkopf in seinem emotionalen Brief an die gesamte Tokio-Delegation des Deutschen Tischtennis-Bundes (DTTB) gar nicht einmal daneben mit seiner Beschreibung eines „Booms in der Medienlandschaft“.

Roßkopf-Forderung gilt für verschiedene Bereiche

Mindestens ebenso angebracht ist allerdings auch die Forderung des früheren Doppel-Weltmeisters, die Popularitätswelle für neue Erfolge in der Zukunft zu nutzen. Der Anspruch ist dabei für verschiedene Bereiche zu stellen. Sportlich sind perspektivisch sicherlich einige Stellschrauben zu drehen, auf anderen Ebenen besteht noch früher Handlungsbedarf. Aufgrund des wegen der Corona-Pandemie und ihrer Folgen auf drei Jahre verkürzten Olympia-Zyklus ist für Paris 2024 personell eher mit wenigen Veränderungen zu rechnen. Im Herren-Bereich dürfen sich Ovtcharov und Franziska für zwei der drei Plätze bereits heute als gesetzt fühlen, und Roßkopfs recht verbindlich zum Ausdruck gebrachte Vorfreude auf ein weiteres Olympia-Turnier mit Timo Boll könnte wohl auch nur der Körper des „Methusalem“ noch verderben. 

Im Damen-Lager ist die Situation ähnlich. Aus heutiger Sicht erscheint als die spannendste Frage, ob die deutsche Meisterin Nina Mittelham nach ihrer Reservistenrolle in Tokio bis Paris wohl entweder Shan Xiaona oder Han Ying aus der Mannschaft verdrängen kann.

Generationswechsel lassen auf sich warten

Die gleichwohl nicht unrealistische Aussicht auf identische Aufgebote für Paris wie zuletzt in Tokio ist aber auch ein Fingerzeig für möglicherweise am Horizont aufziehende Probleme. Dem Tokio-Kader fehlten – ungeachtet von Ausnahmeathleten vom Schlage eines Boll oder Ovtcharov - echte Blutauffrischungen, die DTTB-Teams leben seit für den Spitzensport ungewöhnlich vielen Jahren schon von denselben Leistungsträgern. Bemerkenswerterweise reicht das zwar für eine Führungs- oder sogar die Spitzenposition in Europa, aber im Vergleich zu Deutschland sind in Topnationen wie China und anderen Ländern in Asien Generationswechsel geradezu alltäglich. Hinter dem „Team Tokio“ allerdings drängen sich hierzulande jüngere Jahrgänge für die Erfüllung von Roßkopfs Anspruch, für die Zukunft gut, sprich: für die Weltklasse aufgestellt zu sein, nicht gerade auf.

Den Rückenwind von Tokio gerade in den Medien zu nutzen, ist aber auch in der Außendarstellung weiterhin ein Problem. Alleine das „Legionärs-Dasein“ von Ovtcharov und Han, die in Tokio durch ihre imponierenden Vorstellungen im Einzel-Turnier in den Fokus der Öffentlichkeit rückten, ist ein Dilemma. Als einzig vermittelbarere Protagonisten im eigenen Land können weiterhin praktisch nur Boll und Roßkopf Strahlkraft für das Tischtennis in Deutschland aussenden – ein 40-Jähriger mit der zuletzt immer häufiger geäußerten und auch nachvollziehbaren Furcht vor einem abrupten Karriereende von einem Tag auf den anderen durch eine Verletzung und der Bundestrainer mit dem Status eines WM-Helden. Im deutschen Tischtennis ist man gut beraten, nach alternativen Wegen zur Steigerung von Aufmerksamkeit zu suchen.

Innovationen sogar nach IOC-Vorbild eine Chance

In dieser Hinsicht taugt womöglich sogar selbst das oft im Kreuzfeuer der Kritik stehende Internationale Olympische Komitee (IOC) als ein Vorbild. Um sich aufzuhübschen und für ein junges Publikum attraktiv zu sein, hat das IOC in Tokio diverse neue, moderne Sportarten ins Programm der Spiele gehievt und zugleich nahezu für ein Gleichgewicht der Anzahl von Wettbewerben für Männer und Frauen gesorgt.

Weil Tischtennis grundsätzlich natürlich nicht neu erfunden werden kann und noch kürzere Sätze kaum vermittelbar wären, könnte eine innovative Mischung der IOC-Maßnahmen generell – aber vielleicht auch in Deutschland – einen Fortschritt bringen. Wettbewerbe mit gemischten Mannschaften in einem spannenden Modus wie die Mannschafts-Duelle im Fechten, bei denen die jeweiligen Gegner(innen) sich nur für einen festgelegten Zeitraum gegenüberstünden und tatsächlich jeder Punkt für das Endergebnis zählen würde, könnten zumindest Team-Vergleichen im Tischtennis einerseits (endlich) eine planbare Spieldauer verschaffen und andererseits einen ganz neuen Kick sowie einen modernen Anstrich verleihen. Indien hat es mit Ultimate Table Tennis vorgemacht. Nicht zuletzt bestünde dadurch aufgrund der gestiegenen Bedeutung eines einzelnen Punktes auch eine wenigstens theoretisch bessere Chance, in Chinas Gold-Phalanx bei Olympischen Spielen und WM-Turnieren einzubrechen – was eine andere große Baustelle des Tischtennis-Sports auf internationaler Ebene verkleinern könnte. 

Für Paris – und damit auch die deutschen Tokio-Fahrer – kommt ein solcher Wettbewerb (vielleicht leider) noch nicht in Betracht. Aber für die Spiele 2028 in Los Angeles können Pläne gar nicht früh genug entwickelt werden – in fast jeder Hinsicht.

(Dietmar Kramer)

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