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Dietmars Blog: European Games die falsche Lösung

2015 überzeugten Deutschlands Damen mit Gold bei den European Games (©Schillings)

04.06.2019 - Die Pläne von ITTF-Präsident Thomas Weikert für die künftige Positionierung des Tischtennis im internationalen Sportkalender und in der europäischen Sportfamilie sind bemerkenswert. Nach Meinung unseres Bloggers Dietmar Kramer sind seine Initiativen zur Entzerrung des Terminstresses und zur Integration in die European Championships allerdings auch der Versuch, Versäumnisse der Vergangenheit zu korrigieren. Auf den Sport könnten einschneidende Veränderungen zukommen.

Thomas Weikert bastelt an der Spitze des Weltverbandes ITTF weiter an professionelleren und vor allem zukunftsfähigen Strukturen. Zwar ist dabei nicht jeder Schuss auf Anhieb ein Volltreffer, wie die Reform der Weltrangliste mit der Verzahnung mehrerer Top-Wettbewerbe zeigte, aber in der Regel stimmt auf jeden Fall die Stoßrichtung: Tischtennis soll moderner und attraktiver daherkommen.

Arbeitsaufträge zur Lösung hausgemachter Probleme

Entschlossen geht die ITTF die - leider zumeist hausgemachten - Probleme an. Als Arbeitsaufträge sind denn auch Weikerts jüngste Aussagen zur Gestaltung des internationalen Terminkalenders und der Zugehörigkeit zum Programm der European Games, dem von den Veranstaltern gerne als „europäisches Olympia“ bezeichneten Megaevent mit umstrittener Bedeutung und ebenso fragwürdigen Gastgebern, zu interpretieren. Seine Botschaft nach innen wie nach außen war klar: Die Tischtennis-Verbände, neben der ITTF selbst auch der Europaverband ETTU, muten den Aktiven mittlerweile zu viele Belastungen zu. Zudem will Tischtennis weg vom „Schmuddelimage“ der Europaspiele hinein in einen in vielfacher Hinsicht attraktiven Kreis quotenträchtiger Topsportarten.

In der Terminfrage sind die Ankündigungen einer straffenden Umgestaltung von Teilen des Turnierkalenders jedoch nur wenig innovationspreisverdächtig. Zu offenkundig ist in den vergangenen Jahren das Maß der Überbeanspruchung der Aktiven geworden, als dass nicht reagiert werden müsste. Die angedeuteten Entlastungen für künftige Olympia-Qualifikationen lassen aber auch darauf hoffen, dass die Beschwerden von Timo Boll, Dimitrij Ovtcharov und ihrer internationalen Kollegen im Zuge der anstehenden WM- und World-Tour-Reformen stärker als in der Vergangenheit gehört und bei weiteren Planungen berücksichtigt werden könnten. Deutlich progressiver sind die Pläne für eine Einbindung von Tischtennis in das Programm der European Championships. Die Premiere von überwiegend in Glasgow parallel stattfindenden Europameisterschaften in gleich sieben Sportarten war ein Erfolg. Indes spricht vieles inzwischen nicht mehr unbedingt für die weitere Beteiligung an den European Games.

European Games ohne Nutzen für Tischtennis

Die Europaspiele sind nach absoluten Zahlen zwar groß (in Minsk werden wieder mehr als 6000 Aktive erwartet), aber dem Kunstprodukt fehlt weiterhin tatsächliche Größe und Stellenwert. Der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB) konnte sich erst nach zähen Diskussionen zu einer erneuten Unterstützung des Projektes durchringen, manche Sportarten zeigen der Veranstaltung komplett die kalte Schulter (Schwimmen etwa) und andere sind in Weißrussland nur mit einem Rumpfprogramm (Leichtathletik) präsent. Von den insgesamt 15 Sportarten ernannten nur vier die Wettbewerbe in Minsk zum offiziellen Teil der Qualifikation für die Olympischen Spiele 2020 in Tokio – neben Tischtennis nur noch die Nischensportarten Bogenschießen, Karate und Schießen. 

Dass alle anderen alternative, womöglich bessere und für alle Beteiligten attraktivere Weg zur Ermittlung ihrer Tokio-Fahrer gefunden haben, bestätigt Weikerts Kritik an der Entscheidung der ETTU für Minsk als Bestandteil der Olympia-Ausscheidungen. Wenn zudem, wie Weikert sogar ausdrücklich beklagte, auch der finanzielle Ertrag so gar nicht stimmt und dabei Möglichkeiten für eine lukrativere Ausgestaltung der Tokio-Qualifikation in Eigenregie außer Acht gelassen wurden, darf man wohl getrost von einem ärgerlicheren Eigentor der ETTU sprechen. Dass die European Games obendrein auch als Propagandaveranstaltungen undemokratischer Regierungssysteme abgestempelt sind (nach 2015 in Baku/Aserbaidschan und nun Minsk gilt derzeit das russische Kasan für 2023 als aussichtsreichster Bewerber), dürfte für das Image des Tischtennis auch nicht gerade förderlich sein.

Wechsel zu European Championships erscheint vielversprechend

Welch ein Gegensatz zu den European Championships. Die erste Auflage im Vorjahr geriet zum Spektakel der Sportvielfalt und Medienereignis. Das von Wintersport-Wochenenden abgekupferte Konzept stundenlanger Aneinanderreihungen von Höhepunkte aus verschiedenen Sportarten war ein erster gelungener Schritt der beteiligten Verbände, um der immer noch wachsenden Dominanz von „König Fußball“ aus eigener Kraft ein Gegenwicht entgegenzusetzen. 

Zur Verdeutlichung: Alleine in Deutschland erreichten ARD und ZDF mit ihren Sondersendungen durchschnittlich über zwei Millionen Zuschauer, offiziellen Angaben zufolge verfolgten 43 Millionen TV-Benutzer mindestens eine Übertragung und verdoppelten sich teilweise Marktanteile der einzelnen Sportarten im Vergleich zu eigenständigen Veranstaltungen. Als herausragendes Beispiel darf in dem Zusammenhang sicher auch gelten, dass am Schlusstag beim EM-Erfolg der deutschen Hindernisläuferin Gesa Felicitas Krause fast genauso viele Zuschauer bei der ARD vor dem Bildschirm saßen wie bei der gleichzeitigen ZDF-Übertragung vom Fußball-Supercup zwischen Bayern München und Eintracht Frankfurt. Dass Tischtennis-Fans dabei buchstäblich in die Röhre guckten, ist umso ärgerlicher, weil die ETTU sich im Vorfeld nach eigenem Bekunden „keine Gedanken“ über eine Beteiligung an den European Championships gemacht hatte.

Tischtennis muss planbarer werden

Weikerts Bemühungen um eine Korrektur dieser fahrlässig ausgelassenen großen Chancen ist Erfolg zu wünschen. Doch auf den ITTF-Boss wartet noch viel Arbeit, um das Produkt Tischtennis für die European Championships kompatibel zu machen. Denn um in die komplexen Zeitpläne und (Sende-)Abläufe zu passen, muss Tischtennis außer einer Verlegung seiner europäischen Titelkämpfe (2022 steht eine Einzel-EM auf dem Programm) in den Sommer auch eine gewisse Planungssicherheit in Bezug auf die Dauer von Spielen bewerkstelligen. Denkbar erscheinen dabei noch konsequentere Vorschriften für den Aufschlag, aber womöglich auch revolutionärere Elemente nach Vorbild der T2-Serie mit generellen Obergrenzen für die Gesamtspielzeit.

Die notwendige Entschlossenheit zu solchen Schritten ließ Weikert schon deutlich erkennen. Aus seiner Sicht versprechen die damit verbundenen Anstrengungen offenkundig reichlich Lohn.

(Dietmar Kramer)
    

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