Interview

Waldner/Appelgren: „Das fehlt Felix Lebrun noch“

Legenden-Talk im Konferenzraum: Waldner und Appelgren hatten viel zu berichten. (©Küper)

20.09.2024 - Mit 27 wurde Jan-Ove Waldner 1992 in Barcelona sensationell Einzel-Olympiasieger. Noch zehn Jahre jünger ist aktuell auch Felix Lebrun. Der Penholderspieler feierte in Paris mit der Bronzemedaille seinen bisher größten Erfolg. Der „Mozart des Tischtennis“, der in wenigen Wochen seinen 59. Geburtstag feiert, spricht im zweiten Teil unseres Interviews mit Mikael Appelgren über den steilen Aufschwung des jungen Franzosen und den europäischen Vergleich zu China.

myTischtennis.de: Jan-Ove, du warst 16 Jahre alt, als du dein erstes EM-Finale gegen Mikael nach 2:0-Führung mit 2:3 verloren hast. War deine Sternstunde vergleichbar mit der heutigen von Felix Lebrun?

Waldner: Das ist jetzt 42 Jahre her, Wahnsinn. 

Appelgren: Vor Budapest 1982 war Jan-Ove noch nicht so hochgerankt. Ich war an Position drei gesetzt. 

myTischtennis.de: Das war also schon eine viel größere Überraschung, oder?

Waldner: Ich war meine ich die Nummer 30 oder 40 in Europa damals. Bei Olympia sind es ja mittlerweile auch weniger Spiele geworden. Früher musste ich sechs Einzel gewinnen, um ins Finale zu kommen. Da musste ich schon viele Topspieler schlagen. Desmond Douglas, Stellan Bengtsson, Zoran Kalinic und, und, und. 

Appelgren: In dieser Zeit war es nicht so einfach, in der Weltrangliste zu klettern. Damals gab es noch kein Punktesystem. Es gab acht Leute, die das Ranking gemacht haben. Das ist viel einfacher geworden und war einfach komplett anders. 

Waldner: Früher gab es auch viele Spieler, die sich vom Spielstil geähnelt haben.

myTischtennis.de: Und ein Satz ging noch bis 21 Punkte. War die Regeländerung vor über 20 Jahren die richtige Entscheidung?

Appelgren: Definitiv. Im Training sind wir damals schon selten bei 0:0 gestartet, sondern immer bei 10:10. 

Waldner: Es war für die Zuschauer langweiliger, beim Spielstand von 15:6 konntest du noch in Ruhe auf die Toilette gehen und entspannt zurückkommen. Durch die Regeländerung gibt es einfach mehr Überraschungen. Für die Topspieler war das am Anfang nicht so einfach. Durch die kürzere Distanz konnten sie plötzlich eher gegen Außenseiter verlieren. Alle wurden nervöser. Aber das hat sich schnell eingespielt.

Appelgren: Jeder Punkt wurde irgendwann wertvoller. 

myTischtennis.de: Was denkt ihr? Ist die Distanz zwischen China und Europa kleiner geworden als vielleicht noch vor zehn Jahren?

Waldner: Eher nicht. Sie haben ja trotzdem fast alles gewonnen, auch wenn Wang Chuqin vielleicht nicht in seiner besten Form war und die Topspieler übers Jahr gesehen immer mal wieder Schwächen zeigen. Es war mir fast klar, dass Fan Zhendong nach seinem nervösen Auftritt gegen Harimoto im Viertelfinale bis ins Finale kommen und Gold gewinnen wird. Man hat es ihm angemerkt. Weil, wenn China im Einzel nicht Gold gewinnt, ist das eine Katastrophe. Viele sagen, es ist die beste Mannschaft, die sie je hatten. Das Halbfinale gegen Lebrun war fantastisch. Sie sind einfach gut gegen Penholder und haben das sehr viel mit ihrem Coach Wang Hao trainiert. 

Appelgren: Wir haben zwar alle Spiele im Team-Finale gegen China mit 3:2 verloren, was sicher nicht normal ist. Aber sie sind einfach immer noch die Besten. 

myTischtennis.de: Wie sind die Spiele in Paris im Vergleich zu den vorherigen zu bewerten? Die Stimmung war schon besonders und viele Prominente waren vor Ort…

Appelgren: Definitiv. Zinedine Zidane, unser Königspaar. Auch Dirk Nowitzki (ein Freund von Timo Boll; Anm. d. Red.) war in der Halle. Ihn habe ich neulich noch in Stockholm getroffen und kannte ihn noch aus meiner Bundesliga-Zeit in Würzburg. Er ist mit einer Schwedin verheiratet. 

Waldner: Pro Session saßen über 6.000 Zuschauer auf den Tribünen. Für Tischtennis war das eine gigantische Atmosphäre, vielleicht mit die beste überhaupt. Und auch die Spiele waren vom Niveau her besser als in den letzten acht bis zehn Jahren. Wir haben fast alle Spiele gesehen.

myTischtennis.de: Von der Euphorie im eigenen Land beflügelt war auch Felix Lebrun. Wie bewertet ihr seinen rasanten Aufstieg?

Waldner: Er ist ein fantastischer Spieler. Man spürt einfach, dass er den Sport liebt. Das ist genau wie bei Truls. Sie leben quasi in der Halle.

Appelgren: Er ist einfach nie müde. Er trainiert acht Stunden und fragt dann noch, wie es weitergehen soll. 

Waldner: Ich war in Singapur, um ihn und seinen Bruder kennenzulernen, weil ich mit ihnen den Waldner Cup (dazu im dritten Teil der Interviewreihe mehr; Anm. d. Red.) spielen wollte. Ich habe mit dem Trainer gesprochen und gesagt, vielleicht wissen sie gar nicht, wer ich bin. Aber sie haben mich mit großen Augen angeschaut. Als ich meine letzte Olympischen Spiele gespielt habe, war Felix noch gar nicht geboren. Aber er wusste fast alles über mich und hat sich meine Spiele angeschaut. Er und sein Bruder werden auf jeden noch lange zu den besten Spielern der Welt gehören. In den nächsten zehn Jahren sehe ich Felix in den Top fünf.

myTischtennis.de: Was fehlt ihm, um auch mal einen Chinesen zu ärgern? 

Waldner: Mitte und Vorhand müssen besser werden. Er spielt die Bälle manchmal nur zurück, wenn die Gegner ihn mit Topspin anspielen. Das ist nicht gefährlich genug und bereitet ihm noch oft Probleme.

Appelgren: Genau, seine Vorhand ist manchmal ein bisschen zu schwach, auch in den Topspin-Rallyes. In den Rückhand-Duellen ist er sehr stark - einer der besten in der Welt. 

Waldner: Ansonsten hat er ein gutes Aufschlagspiel mit sehr viel Variation. Aber wenn Fan Zhendong ihn oft mit viel Spin in der Mitte anspielt, spielt er Rückhand. Seine Vorhand ist zu schwach, um jetzt schon die Nummer eins zu sein. 

Appelgren: Du gewinnst Spiele gegen die Chinesen, wenn du offen spielst und nicht, um nach einem guten Aufschlag den ersten Ball direkt zu töten. Er muss in die Ballwechsel kommen. Das kann er noch lernen. Er ist noch extrem jung.

Waldner: …und dafür trotzdem mental schon sehr stark. 

Appelgren: Er hat keine Angst und möchte die Spiele schnell beenden. Er spielt sieben Sätze mit Verlängerung und das Spiel ist trotzdem nach 20 Minuten vorbei. Das ist unglaublich. Vor dem Spiel um Bronze gegen Calderano dachte ich, dass er Hugo im offenen Spiel eigentlich überlegen sein müsste. Aber er war so stark, wie schon gegen Lin Yun-Ju und Ovtcharov zuvor. 

myTischtennis.de: Da wären wir auch schon beim Thema Deutschland. Die Meinungen zur Situation der DTTB-Herren lesen Sie in der nächsten Woche im dritten und letzten Teil unserer Interviewreihe. 

Verlernt hat Mikael Appelgren mit dem Schläger in der Hand übrigens nichts, dafür muss er nicht mal am Tisch stehen. Sehen Sie selbst! Könnten Sie das nachmachen?

(FKT)

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