Olympia 2024

Yuan Wan: Olympisches Halbfinale statt Urlaub

Yuan Wan bewies in Paris ihre Qualitäten als Doppelspielerin. (©ITTF)

14.08.2024 - Die bundesweiten Medien stürzten sich in Paris durch ihre starken Olympia-Auftritte fast alle auf Annett Kaufmann. Doch auch Yuan Wan hat bei ihren ersten ,Spielen‘ eine besondere Geschichte geschrieben. Für die Bundesligaspielerin aus Weinheim ist der vierte Platz der DTTB-Damen im Teamwettbewerb auch ein persönlicher Erfolg. Wie die 27-Jährige die kurze Vorbereitungszeit meisterte, was sie aus Frankreich mitnimmt und wie sie die Zukunft der deutschen Mannschaft sieht, hat uns Wan nach der Rückreise verraten.

Den Sommer 2024 hatte sich Yuan Wan ursprünglich ganz anders vorgestellt. Nach ihrem Zweitrundenaus beim WTT Star Contender in Thailand wollte die Nationalspielerin eigentlich ihre Verwandten im von Bangkok knapp fünf Flugstunden entfernten China besuchen. Die Tickets waren schon gebucht. Der erneute Achillessehnenriss von Ying Han warf alle Pläne von jetzt auf gleich über den Haufen. „Es ging alles ganz schnell von der Nominierung bis zur Pressekonferenz und zum Einzug ins olympische Dorf“, sagt Wan. Ohne überhaupt Teil der intensiven Vorbereitung unter Tamara Boros gewesen zu sein, musste die nachgerückte Ersatzspielerin die schlagartigen Ereignisse erst einmal sacken lassen und bereitete sich im Kopf schon auf die typischen unterstützenden Aufgaben einer Nummer vier vor.

Überraschend gutes Doppel mit Xiaona Shan

„Vielleicht werde ich mich in die lange Schlange zum Wäschewaschen anstellen“, scherzte Wan noch auf dem Olympia-Medientag. Dass sie durch den Bandscheibenvorfall von Nina Mittelham im Teamwettbewerb fest zur Mannschaft gehören würde, war da noch nicht abzusehen. „Nach Ninas Verletzung konnte ich mich gut vorbereiten. Ich hatte nichts zu verlieren, habe meine Nerven unter Kontrolle gehalten und wollte einfach mein bestes Tischtennis spielen.“ Im Einzel reichte es zwar nur zu einem gewonnenen Satz, im Doppel an der Seite von Xiaona Shan lief es dafür umso besser. Gegen die Inderinnen Sreeja Akula und Archana Kamath gelang im Viertelfinale ein 3:1-Sieg, im Spiel um Bronze fehlte gegen das zweitbeste Duo der Welt, Shin Yubin/Jeon Jihee aus Südkorea, nicht viel zur Sensation. 

„Wir haben vorher nie zusammengespielt bzw. trainiert. Das hätte wirklich niemand von uns erwartet. ‚Nana‘ und ich waren mental vielleicht etwas im Vorteil, weil wir nicht den Druck hatten. Da wir nicht eingespielt waren, ging es weniger um Taktiken, sondern mehr darum, unsere Gegnerinnen so unangenehm wie möglich anzuspielen“, erklärt Wan. Auch wenn der vierte Platz in dieser Besetzung durchaus als Erfolg zu werten ist, werde es noch ein paar Tage dauern, bis die Niederlage und die verpasste Medaille verdaut sind. Die 27-Jährige trauert noch immer der verspielten 7:4-Führung im fünften Satz im Doppel gegen Südkorea hinterher. „Jetzt ist es schon besser als am Sonntag. Wir werden uns darüber freuen können. Die Enttäuschung nach dem Spiel war groß, weil die Chancen da waren und Annett dann vielleicht ganz anders in ihr erstes Einzel gegangen wäre.“ 

Kaufmann und Källberg als Mutmacher

Apropos Kaufmann: Die Leistung der Kolbermoorerin sorgte auch DTTB-intern für eine Überraschung. „Sie hat die Mannschaft geführt. Ohne sie hätten wir es nicht geschafft“, ist sich Yuan Wan sicher. Das selbstbewusste Auftreten der 18-Jährigen habe auch ihr in vielen Situationen geholfen und für die nötige Sicherheit gesorgt. Ganz so viele WhatsApp-Nachrichten wie ihre Teamkollegin hat die zweifache deutsche Mixed-Meisterin nicht erhalten. „Ich habe versucht, die Aufmerksamkeit auszublenden. Aber es macht einen schon stolz, wenn einem sogar alte Freundinnen aus der Grundschule schreiben, dass sie einen im Fernsehen gesehen haben.“ 

Zeit für Gespräche mit anderen Athletinnen und Athleten im deutschen Haus oder Anfeuerungen ihres ebenfalls über sich hinauswachsenden Partners Anton Källberg blieb kaum. Dennoch blickt Wan emotional auf die Silbermedaille der schwedischen Herrenauswahl. „Leider haben wir immer gleichzeitig gespielt. Das war trotzdem emotional für mich. Ich habe mich sehr für Anton gefreut. Er hat mir Kraft und Mut gegeben und gezeigt, was alles möglich ist.“

Von Paris in den Urlaub: „Die Erfahrung nimmt mir keiner mehr“

Ihre eigene besondere Olympia-Erfahrung und der Weg von der Nicht-Nominierten zur Team-Halbfinalistin sollen Yuan Wan fortan beflügeln. Über eine mögliche Wachablösung in der DTTB-Mannschaft, ihre dortige Rolle und die Zukunft auf Position drei macht sich die Weltranglisten-95. aktuell noch weniger Gedanken. „Ich schaue nur auf mich und möchte die beste Version von mir selbst zeigen, mich in der Weltrangliste weiter verbessern und dann schauen wir, was passiert. Man weiß nie“, so Wan. „Hätte mir das vor ein paar Monaten jemand erzählt, hätte ich wohl gesagt: ,Das wird nichts.‘ Die Atmosphäre vor so vielen Zuschauern war einzigartig. Das wird mir keiner mehr nehmen. Ich habe gezeigt, dass ich auf dem Top-Niveau mithalten kann, aber auch gesehen, was vielleicht noch fehlt“, ergänzt die Weinheimerin über ihre Entwicklung und den nach wie vor nicht aufgegebenen Traum von der Weltspitze. 

Nach dem Erlebnis in Paris holt Yuan Wan dieser Tage ihren wohlverdienten Urlaub nach – es ist im vollen Kalender ihre erste Auszeit seit Weihnachten. Statt nach China ging es am Dienstag in die Sonne Griechenlands. Den zunächst angedachten Familienbesuch kann die 27-Jährige dann gegebenenfalls schon nach ihrem nächsten Turnier Ende September nachholen. Kurz nach dem WTT Grand Smash in Peking fällt dann auch der Startschuss für die neue Damen-Bundesliga-Saison mit dem TTC 1946 Weinheim. Getreu dem Motto „Nach Olympia ist vor Olympia“ wird der Fokus in den kommenden vier Jahren für alle DTTB-Akteure bereits auf den ‚Spielen‘ 2028 in Los Angeles liegen. 

(FKT)

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