Olympia 2024

Plötzlich Führungsspielerin, plötzlich im Rampenlicht

Geballte Faust: An Selbstvertrauen mangelt es Annett Kaufmann nicht (© ITTF)

11.08.2024 - Annett Kaufmann war für die Olympischen Spiele zunächst nur als Ergänzungsspielerin nominiert – und dann plötzlich als Spitzenspielerin gefragt. Diese Rolle füllte sie mit Bravour aus und nutzte die große Bühne für vier Siege über Spielerinnen aus den Top 30 der Welt. Auch abseits des Tisches bewies die 18-Jährige Qualitäten als Führungsspielerin. In den Medien war Kaufmann in den Tagen von Paris omnipräsent.

Annett Kaufmanns Handy explodierte förmlich. „Ich hab mir am Tag nach dem USA-Spiel mal eine Stunde Zeit genommen, um meine 70 unbeantworteten Whatsapp-Nachrichten zu beantworten“, erzählte die 18-Jährige unter der Woche in Paris. Auch auf ihren Social-Media-Kanälen erreichten Kaufmann nach ihren starken Auftritten bei den Olympischen Spielen unzählige Nachrichten, die habe sie noch nicht mal alle gelesen. Und bei einem Besuch in der Fanzone des Deutschen Hauses in Paris, am Abend nach dem Spiel um Platz drei, merkte die Linkshänderin dann auch, dass ihr Gesicht nun nicht mehr nur Tischtennis-Fans bekannt ist. Zahlreiche Fans wollten dort ein Foto oder Autogramm von ihr.

„Ich persönlich brauche die Aufmerksamkeit nicht“, sagt Kaufmann. „Aber Aufmerksamkeit für unseren Sport ist wichtig. Ich freue mich, wenn ich Werbung für Tischtennis, insbesondere für Damen-Tischtennis machen kann.“ Das ist ihr bei diesen Olympischen Spielen definitiv gelungen, in den Medien war die vielfache Jugend-Europameisterin in den vergangenen Tagen omnipräsent. Denn sie, die eigentlich nur als Ersatzspielerin für Paris vorgesehen war, führte das dezimierte deutsche Damen-Team als Spitzenspielerin ins Halbfinale, nach fünf Einzelsiegen kassierte sie erst im Spiel um Platz drei ihre erste Niederlage. Zuvor hatte Kaufmann vier Spielerinnen aus den Top 30 der Weltrangliste besiegt, darunter auch die Nummer acht der Welt, die Japanerin Miwa Harimoto. „Annett hat hier gezeigt, dass nicht nur unsere Zukunft ist, sie gehört jetzt schon zur Weltklasse“, sagte Bundestrainerin Tamara Boros. „In dem Spiel gegen Harimoto sah es fast so aus, als sei die Top-10-Spielerin, und nicht Harimoto.“

Vor Olympia lernte Kaufmann viel fürs Abi – und trainierte kaum

Die Leistungen Kaufmanns überraschten vor allem vor dem Hintergrund, dass sie sich in den Monaten vor den Olympischen Spielen nicht auf Tischtennis, sondern auf die Schule und ihre bevorstehenden Abiturprüfungen konzentrierte. Anfang März absolvierte sie bei der WM in Busan ihren vorerst letzten internationalen Wettkampf, Anfang April ihr letztes Bundesligaspiel, schon da trainierte sie nur noch wenig bis gar nicht. Denn die ehrgeizige Kaufmann wollte auch ein gutes Abitur bauen – als das geschafft war, intensivierte sie vor den Deutschen Meisterschaften das Training so langsam wieder, wurde dann in Erfurt Mitte Juni erstmals Deutsche Einzelmeisterin. Dennoch fuhr sie ohne große Erwartungen zu ihren ersten Olympischen Spielen, auch weil das DTTB-Damen-Team nach dem Ausfall von Ying Han nicht mehr zu den Medaillenkandidaten zählte. Weil dann auch noch Nina Mittelham verletzungsbedingt abreisen musste und die noch immer angeschlagene Xiaona Shan unter Normalform spielte, war Kaufmann plötzlich als Spitzenspielerin gefragt – und füllte die Rolle mit Bravour aus. Beeindruckend war, mit welchem Selbstvertrauen der Team-Youngster an den Tisch ging. Es schien, als würde es die 18-Jährige gar nicht einschüchtern, beim größten Sportereignis der Welt vor über 6.000 Zuschauern in der Halle und einem Millionenpublikum an den TV-Bildschirmen um eine Medaille zu spielen. „Ich gehe immer ohne Angst und mit viel Selbstvertrauen an den Tisch", sagt sie. „Ich weiß, was ich kann und sage mir, dass die Gegnerin mich erst mal schlagen muss.“ Und das gelang in Paris tatsächlich erst mal keiner Kontrahentin – bis die Südkoreanerin Lee Eunhye ihren Siegeszug im Spiel um Platz drei stoppte.

Bei all der Enttäuschung ob des geplatzten Medaillentraums zeigte die 18-Jährige dann auch noch, dass sie nicht nur am Tisch die Qualität hat, Deutschlands neue Führungsspielerin zu werden. Sie tröstete erst die am Boden zerstörte Xiaona Shan, übernahm dann im TV-Interview kurzerhand für Yuan Wan, als der die tränenerstickte Stimme versagte. Dann, als sie in der Mixedzone weiteren Medienvertretern Rede und Antwort stand, flossen auch bei Kaufmann die Tränen, es sei alles sehr viel gewesen in den vergangenen Monaten, sagte sie. „Ich brauche jetzt erst mal Ruhe und Zeit für mich", so Kaufmann.  „Dann kann ich auch realisieren, was ich hier eigentlich erreicht habe.“ Und das war ganz schön viel. Annett Kaufmann hat nicht nur das DTTB-Team ins Halbfinale der Olympischen Spiele geführt, sondern auch noch beste Werbung für sich und für das deutsche Damen-Tischtennis betrieben. (sue)

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