Buntes

Zu Besuch bei den Lebruns: Profis neben Schulkindern

Der Coach der Lebruns, Nathanael Molin (2. v. l.), zeigt den deutschen Besuchern - darunter Lucas Krenzer (r.) - sein Reich (©privat) 

07.12.2023 - Wie trainieren eigentlich Félix und Alexis Lebrun, die französischen Shootingstars, die in den vergangenen anderthalb Jahren Riesensprünge bis in die Weltspitze gemacht haben? Landestrainer Lucas Krenzer war bei einer Fortbildung in ihrem Heimatort Montpellier, wo die Lebruns in einer normalen Turnhalle unter bemerkenswerten Umständen trainieren. Der Rheinland-Pfälzer berichtet, welche Eindrücke er gewonnen hat und welche Erkenntnisse er auf seine Arbeit übertragen möchte.

Als Lucas Krenzer mit seinen Kollegen auf dem Weg zum Trainingszentrum, in dem die Lebrun-Brüder zu Superstars gereift sind, durch Montpellier streift, kommt ihnen ein junger blonder Mann auf einem E-Scooter entgegen, der wie sie die Namen gängiger Tischtennismarken auf Kleidung und Gepäck trägt. Wer sie denn seien und wohin sie wollten, fragt der Franzose freundlich. Deutsche Trainer, die im Rahmen des DTTB-A-Lizenz-Trainerförderprogramms für drei Tage zu Besuch in Südfrankreich sind, um sich mit dem dortigen Trainerteam auszutauschen, das mit Félix Lebrun und seinem Bruder Alexis täglich an ihrem Spiel feilt. Zu diesem Zeitpunkt haben die Trainer natürlich längst erkannt, wer ihnen da auf dem E-Scooter gegenübersteht und den Weg weist. Es ist Félix Lebrun selbst, der sie gleich mit seiner offenen und kommunikativen Art für sich einnimmt und zu seiner Heimathalle führt.

„Das habe ich so noch nicht erlebt“

Als sie schließlich an ihrem Ziel ankommen, ist Krenzer, der als Landestrainer den Nachwuchsleistungssport in Rheinland-Pfalz für die Verbände RTTVR und PTTV leitet, jedoch überrascht. „Die Halle ist kein klassisches, modernes Hochleistungs-Trainingszentrum wie in Düsseldorf oder auch Paris“, erzählt der 28-Jährige. „Tatsächlich trainieren die Lebruns in einer ganz normalen Turnhalle, die allerdings nur für Tischtennis genutzt wird.“ Doch dies sollte nicht die einzige Überraschung der dreitägigen Fortbildung bleiben, welche die ausgewählten A-Lizenz-Trainer im Bereich Hochleistungssport durchlaufen. Auch die Besetzung der Halle ist Krenzer so nicht gewohnt. „Es gibt zwar vier Tischreihen wie bei uns, aber die ersten anderthalb sind nur für den Schulsport reserviert, dann kommt der Breiten- und Vereinssport und in der letzten Reihe trainieren die Profis“, berichtet der Rheinland-Pfälzer. „Es kann also sein, dass ein Kind zum ersten Mal einen Schläger in der Hand hält, und nebenan trainieren die Lebruns.“ Die Anwesenheit so vieler Kinder geht natürlich auch mit einer gewissen Lautstärke einher, an der sich aber niemand zu stören scheint. „Das wird einfach ausgeblendet, es ist ganz normal dort“, erzählt Krenzer. „Es kommen auch Leute von der Straße rein, die spielen wollen, oder die Kinder setzen sich neben die Profis und schauen zu - und die machen Scherzchen mit ihnen. Das habe ich so noch nicht erlebt. Für viele Profis wäre das sicher ein eher unangenehmer Störfaktor.“

Natürlich würden die Lebruns auch ein wenig abgeschirmt, relativiert Krenzer, aber insgesamt herrsche eine große Lockerheit vor, die vor allem eines auslöst: Sympathie für diese beiden Superstars, die innerhalb weniger Monate in die Topbereiche der Tischtenniswelt stürmten. Das gilt auch für den Umgang innerhalb der Profi-Trainingsgruppe, die eher heterogen ist. Neben der Erstliga-Mannschaft von Montpellier sind auch ein paar internationale Gäste, wie der Inder Manav Thakkar, in der Halle. Insgesamt umfasst die Gruppe acht bis zwölf Spieler, die zwei- bis dreimal täglich drei Stunden lang trainieren. „Aber auch wenn sich die Spielstärke zum Teil sehr unterscheidet, achten die Trainer intensiv auf alle Spieler der Trainingsgruppe“, beobachtet Krenzer. „Es ist nicht wie im Düsseldorfer DTTZ, wo viele Top-50-Spieler in einer Gruppe trainieren. Hier kommt es vor, dass Félix oder Alexis auch Mal zwei Einheiten mit der Nummer 150 der Welt absolvieren. Aber es interessiert sie nicht, wie gut der andere ist, sondern, wie sie ihr System verbessern können. Und dadurch steigern sie ihre Flexibilität.“

Ganzheitlich, kreativ und wettkampforientiert

Eine gewisse Flexibilität ist auch bezüglich des Aufbaus einer normalen Trainingseinheit in Montpellier gefordert. Denn die Trainer dort legen großen Wert auf einen ganzheitlichen Ansatz, so dass ein typisches Training viel mehr als nur die Arbeit am Tisch umfasst. „So stellt der Athletiktrainer mitten in der Einheit Lebensmittel auf den Tisch und dann wird erst mal 20 Minuten über Ernährung gesprochen“, gibt Krenzer ein Beispiel. Des Weiteren wird das Balleimertraining etwa mit Übungen wie Kreuzheben oder Kniebeugen an der Langhantel verknüpft, um die Arbeit der Muskelgruppen direkt auf die Bewegungen am Tisch zu übertragen. In ähnlicher Weise wird auch an der Bauchmuskulatur gearbeitet: Die Spieler sollen Luftballons aufpusten, um die Körpermitte zu stabilisieren, während sie Beinarbeitstechniken üben, was zu einigem Gelächter unter den Profis führt, aber der ernsthaften Umsetzung der Übung nichts abtut. „Es besteht ein fließender Übergang zwischen der Arbeit am Tisch, Athletik-Training, Taktik und Tischtennis denken“, beschreibt der 28-Jährige den ganzheitlichen Ansatz in Montpellier. Wobei vor allem der letzte Punkt häufig unterschätzt wird. „Fragt man den Trainer der Lebruns, Nathanael Molin, warum die beiden so außergewöhnlich gut sind, lautet die Antwort: Weil sie 24/7 über Tischtennis und ihr Spiel nachdenken“, erläutert Krenzer.

So wie in Montpellier werde ansonsten nur selten trainiert, wird dem Deutschen berichtet. In Frankreich trainiere man ansonsten wie in Deutschland. Neben dem ganzheitlichen Ansatz mache auch das wettkampforientierte Übungsdesign die Besonderheit des Standorts aus. Zuerst werden klassische Übungen oder individuelle Ballwege gespielt, in denen ein Spielzug aufgegriffen wird, an dem gerade gearbeitet wird. „Danach werden häufig bis zu zwei Stunden lang Wettkämpfe in unterschiedlichen Formen gespielt - das kann der klassische Kaisertisch sein oder ein Spiel bis 50 Punkte -, in dem die zu trainierenden Schwerpunkt-Spielsituationen verstärkt erzeugt werden“, beschreibt Krenzer. „Insgesamt wird mit viel Risiko gespielt, dadurch entstehen natürlich auch häufig Fehler. Dann gehen die Spieler mitten in der Übung zum Trainer und sprechen fünf Minuten darüber, wie man es besser machen kann. Es wird sehr individuell am Spielsystem gefeilt.“

Viele neue Eindrücke

Die Motivation, sich mit Fehlern und dem eigenen Spiel mehr auseinanderzusetzen, ist neben dem Athletiktraining etwas, was der Landestrainer auch im Nachwuchsleistungssport bei seinen Athleten noch stärker fördern will. Nach dem Wettkampf oder Training solle man zeitnah analysieren, warum man verloren oder gewonnen habe, in welchen Bereichen Probleme auftreten oder Stärken liegen. Im nächsten Training werde dann eine Übung dazu gebaut und in Trainingswettkämpfen das Erlernte direkt angewendet. „Die Situationen, in denen es gut oder nicht gut läuft, müssen den Spielern bewusst sein, sie müssen identifiziert werden, um daran arbeiten zu können“, betont Krenzer. Auf den Weg zurück ins Hotel macht sich das deutsche Trainergespann nach dem Besuch in der Talentschmiede dann ohne Lebrun’sche Begleitung - aber mit einer Menge neuer Eindrücke, die ihr Training in Zukunft mit Sicherheit beeinflussen werden.

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(JS)

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