Verdienten einst in Steinhagen ihr Geld: Torben Wosik, Nicole Struse und Richard Prause (v.l.n.r.). (©Verein)
16.02.2023 - Ab Mitte der 1980er Jahre spielten die erste Damen- und Herrenmannschaft der Spvg Steinhagen in der Tischtennis-Bundesliga und eilten national wie international von Erfolg zu Erfolg. Weil der langjährige Manager Rüdiger Lamm 1994 zum Fußballverein Arminia Bielefeld wechselte, gingen beim Klub aus der Nähe von Gütersloh in Nordrhein-Westfalen vor 29 Jahren die Lichter aus. Was seitdem passiert ist, lesen Sie in unserer Serie ,Ehemalige BL-Vereine heute‘.
Schaut man sich den Verlauf früherer Tischtennis-Bundesligisten an, so wird deutlich, dass bei den meisten Klubs der Aufschwung oft mit einem finanzstarken Geldgeber verbunden war und das Kartenhaus genauso schnell wieder zusammenfiel, als sich dieser verabschiedet hat. „Eigentlich muss man nur die Vereinsnamen und Jahreszahlen tauschen, die Geschichte ist fast immer die gleiche“, findet Christian Helmig von der Spvg Steinhagen. Der 49-Jährige schlägt seit dem Kindesalter für seinen Heimatverein auf, hat die glorreichen Zeiten als Kind und Jugendlicher hautnah miterlebt und kann sich noch gut an die Anfänge der ambitionierten Dekade erinnern. Möglich gemacht wurde diese überhaupt durch Rüdiger Lamm. Der Funktionär spielte bereits in den Siebzigern für den Meidericher TTC in der höchsten deutschen Spielklasse und übernahm in den Achtzigern die sportliche Leitung in Steinhagen. „Er war die treibende Kraft und stand hinter allem. Ohne ihn wäre das Projekt nie in Fahrt gekommen“, erklärt Helmig.
Europapokalsiege und viel Euphorie im Verein
Die erste Herren-Mannschaft legte einen Durchmarsch hin. 1984 gelangen Ex-Nationalspieler Manfred Baum und Co. der erstmalige Aufstieg in die Bundesliga, die insgesamt zehn Jahre gehalten wurde. Zu den bekanntesten Spielern zählten später Torben Wosik, Eric Boggan und Peter Karlsson. Eine der Sternstunden: die deutsche Vize-Meisterschaft in der letzten Bundesliga-Saison 1993/1994. 1988 (gegen Borussia Düsseldorf) und 1993 scheiterte die Spvg jeweils im Endspiel der deutschen Pokalmeisterschaften, auch im ETTU-Cup reichte es 1989 nach der Finalniederlage gegen den ATSV Saarbrücken nur zum zweiten Platz.
„In den Anfangszeiten war die Euphorie riesengroß. In der Halle waren oft mehr als 1.000 Leute und es wurden sogar Zusatztribünen aufgebaut. Damals kamen Spieler wie Jan-Ove Waldner, Mikael Appelgren, Desmont Douglas oder Andrzej Grubba. Das waren echte Festtage in der gesamten Gemeinde“, schwärmt Helmig von seiner Zeit als Einlaufkind, Zähler oder Handtuchreicher, während Trainergrößen wie der mehrfache Weltmeister Liang Geliang aus China als Trainer in Steinhagen arbeiteten. „Ich habe kaum ein Spiel verpasst und bin ich auswärts mit dem Bus mitgefahren“, ergänzt Helmig. Noch erfolgreicher waren allerdings die Steinhagener Damen, die 1987 erstmals in der Bundesliga um Punkte spielten und sich von 1989 bis 1994 sechsmal hintereinander die deutsche Meisterschaft sicherten. 1992 und 1993 wurde man Europapokalsieger der Landesmeister. Mit Nicole Struse, Katja Nolten, Jie Schöpp, Jin-Sook Cords und Cornelia Faltermaier war beinahe die komplette Damen-Nationalmannschaft für die Westfalen aktiv. „Es war eine extrem gute Trainigsgruppe, die sich voll mit dem Verein identifiziert hat“, sagt Helmig.
Fehlendes Zuschauerinteresse führte zum Aus – Hallen-Neubau macht Hoffnung
Auf dem Höhepunkt war das Abenteuer im Frühjahr 1994 vorbei. Der Höhenflug war jedoch nicht aufgrund des fehlenden Geldes gestoppt worden. Weil das Interesse im Umfeld im Laufe der Jahre stark nachgelassen hatte, zog Rüdiger Lamm die Herren aus der Bundesliga zurück und konzentrierte sich immer mehr auf den Fußball-Oberligisten Arminia Bielefeld. Endgültig scheiterte das Projekt, weil die damaligen Vereinsverantwortlichen dem langjährigen Macher nicht mehr über den Weg trauten. "Ein Nicht-mehr-Manager, der die Werberechte besitzt, verweigert dem geschäftsführenden Vorstand Einblick in die Verträge", begründete der damalige Spvg.-Vorsitzende Hans-Erich Griwodz, weshalb der Verein auch die Damen-Mannschaft im Mai 1994 per Fax an den DTTB abmeldete. "Für mich und viele im Verein war das damals ein echter Schock", erinnert sich Christian Helmig.
Damit war der Spitzen- und Leistungssportbereich von heute auf morgen passé, der Spielbetrieb wurde im Amateurbereich fortgeführt. Die ersten drei Herren-Mannschaften waren weggebrochen. Helmig war selbst plötzlich Teil der „Ersten“. In den ersten Spielen in der Bezirksklasse schmückte sich das neue Team bei der Begrüßung noch scherzhaft mit dem Titel des deutschen Vizemeisters. Mit Spielern aus der Region gehen der Sportredakteur und seine Mitspieler heute in der 1. Kreisklasse an den Start, die erste Herren in der Bezirksliga, die Damen in der Kreisliga. Bis vor einigen Jahren gab es in Steinhagen auch noch eine „gute Jugendarbeit“ mit einer NRW-Liga-Mannschaft. „Da hatten wir auch noch einen sehr engagierten Trainer. Mit einem Vater einer Spielerin kommen wir aktuell wieder langsam in Fahrt. Aber es ist heutzutage einfach schwer, etwas aufzubauen“, so Helmig. 2021 verschwand durch den Abriss der baufälligen, vereinseigenen Cronsbachhalle die ehemalige Bundesligaspielstätte, die an die erfolgreichen Zeiten erinnerte. An gleicher Stelle wurde ein neues Sportzentrum für mehrere Abteilungen errichtet. Ein kleiner Lichtblick, der die Spvg. Steinhagen motiviert in die Zukunft schauen lässt.
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Zum Vereinsprofil der Spvg Steinhagen (click-TT)
(FKT)
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