14.10.2022 - Nach dem überraschenden Gewinn der Silbermedaille bei der Team-WM in Chengdu stehen für die DTTB-Herren in diesem Jahr noch drei wichtige Turniere auf dem Programm. Im myTischtennis.de-Interview blickt Bundestrainer Jörg Roßkopf auf den WM-Coup zurück und spricht unter anderem über den steilen Aufstieg von Kay Stumper. Außerdem erklärt der 53-Jährige, warum er ein Luxusproblem gerne in Kauf nimmt und eine Wachablösung in der Mannschaft vor Olympia keine Rolle spielt.
myTischtennis.de: Jörg, du hast gesagt, dass dieses WM-Silber wie Gold glänzt. Ist die Medaille ohne den Einsatz des Olympia-Trios von Tokio noch höher einzustufen?
Jörg Roßkopf: Es war auf jeden Fall ein wahnsinnig großer Erfolg, mit der Mannschaft ins Finale zu kommen. Das gibt den Jungs viel Selbstvertrauen. Viele haben uns schon früh abgeschrieben. Der eine oder andere hat vielleicht darauf gewartet, dass wir ausscheiden. Aber wir haben unglaublich gut gespielt und insgesamt ein Riesenergebnis erzielt.
myTischtennis.de: Nach der Niederlage im zweiten Gruppenspiel gegen Indien war der Druck zu spüren, es hätte auch ganz anders laufen können. Pleiten und Überraschungen liegen bei einer WM bekanntlich oft nah beieinander.
Jörg Roßkopf: Das können wir als Sportler gut einschätzen und das hätten wir auch im Falle eines Ausscheidens getan. Entscheidend ist, dass man mit dieser Einstellung reingeht. Ich mal gezählt. In zwölf Jahren waren es 46 Medaillen bei einer WM, EM oder Olympia, die ich als Trainer gesammelt habe. Den Erfolg versucht man zu bestätigen, aber es gibt immer mal Meisterschaften, wo es nicht so gut läuft. Nach der WM in Houston haben viele gesagt, die Schweden wären so stark, Moregardh ist der beste Spieler Europas und wir sind nicht mehr die Nummer eins. Es wäre für die Sportler angenehmer, wenn nicht alles in schwarz und weiß, sondern etwas neutraler gesehen würde.
myTischtennis.de: Was hat für dich nach dem Indien-Spiel den Ausschlag gegeben, Kay Stumper für Ricardo Walther aufzustellen und wie bewertest du seinen steilen Aufstieg?
Jörg Roßkopf: Ric hatte eine gute Form, er konnte sich in den vergangenen Monaten nach langer Verletzung wieder nach vorne spielen. Auf so einem Niveau ist es dann etwas anderes, aber Thakkar hat gegen ihn auch gut gespielt. Wir wollten die Franzosen vor eine Aufgabe stellen, haben uns gedacht, dass Lebesson an drei steht und wussten, dass Kay das machen kann. Und er hat es super gemacht. Danach war nicht klar, dass Ric raus ist. Wir wollten von Spiel zu Spiel entscheiden. Eigentlich sind wir davon ausgegangen, dass Ric viel spielt. Aber wenn man es wie Kay so gut löst, dann ist es auch schwierig ihn wieder herauszunehmen. Alle Jungs haben sich gut als Team präsentiert. Irgendwann kristallisiert sich bei einem Turnier immer eine Mannschaft heraus. Jeder hat performt. Das ist die wichtigste Aussage. Neben Dang hat auch 'Benne' Duda bei 2:2 wichtige Spiele gewonnen.
myTischtennis.de: Für Fanbo Meng war es in erster Linie wichtig, überhaupt mal bei einem Turnier dieser Größenordnung hereinzuschnuppern, oder?
Jörg Roßkopf: Definitiv. Spieler wie Fanbo oder Kay hätten in anderen Mannschaften schon viel früher ihre Einsätze bei einer WM oder EM bekommen. Wir haben dieses Luxusproblem. Damit muss man klar kommen, das kann auch Generationen zerstören. Jetzt war die Möglichkeit da, weil der eine oder andere aus familiären Gründen abgesagt hat oder nach einer Verletzung noch nicht so weit war. Aus dieser Not ist die Tugend geboren. So haben wir die beiden Jungen mitgenommen und Ric zurück in die Nationalmannschaft gebracht.
myTischtennis.de: Tomokazu Harimoto hat im Halbfinale gezeigt, dass China durchaus verwundbar sein kann. Was hat euch gefehlt, um den Gastgebern den WM-Sieg streitig zu machen?
Jörg Roßkopf: Sie waren schon sehr nervös. Die Möglichkeit, die Chinesen anzugreifen war da. Aber wir haben viele Körner gelassen und waren die paar Prozent schlechter. China war nach dem Halbfinale noch motivierter, als hätten sie das Spiel klar 3:0 gewonnen. Sie haben gemerkt, dass sie aufpassen müssen. Ein überragender Spieler wie Harimoto hat ja nicht zum ersten Mal gegen die Chinesen gewonnen. Man muss dazu sagen, dass die anderen Japaner nicht die große Möglichkeit hatten, ein Spiel zu gewinnen. China ist am Ende wieder zurecht Weltmeister geworden. Aber wir werden weiterhin alles versuchen, sie zu schlagen.
myTischtennis.de: Die Corona-Auflagen waren erneut sehr hoch. Hat man sich daran mittlerweile gewöhnt oder gab es doch noch die eine oder andere Überraschung vor Ort?
Jörg Roßkopf: Unter den Umständen war es eine tolle WM. Die 'Bubble' war streng. Das war nicht so einfach, weil wir alle schon mit einem mulmigem Gefühl hingeflogen sind. Das hat man auch an den Absagen gesehen. Einige Spieler hatten schon Respekt vor der Veranstaltung.
myTischtennis.de: Mit Blick auf künftige Nominierungen wird es für dich als Bundestrainer nicht einfacher...
Jörg Roßkopf: Alle wissen, woran sie sind und haben ihre Erfahrungen gesammelt. Wir wollen unabhängig vom Alter immer die bestmögliche Mannschaft aufstellen. So schlecht haben die älteren Spieler ja zuletzt nicht performt. Eine Wachablösung ist daher absoluter Quatsch. Wenn man davon spricht, dann wenn eine Generation schlecht spielt oder eine junge nachkommt. Es wird eine harte Entscheidung. Aber das ist immer so gewesen. Auch für die EM 2023 und die WM 2024 wird es unfassbar schwer zu selektieren. Ich bin froh, dass es so ist. Schlechter wäre es, wenn sich die fünf Spieler von alleine aufstellen und wir keine Nummer sechs oder sieben haben. Damit können wir gut fahren und da haben wir in den vergangenen Jahren wenige Fehler gemacht.
myTischtennis.de: Mit dem WTT Champions vom 19. bis 23. Oktober und den WTT Cup Finals vom 27. bis 30. Oktober stehen diesen Monat zwei weitere wichtige Events in China auf dem Programm, bis zum Jahresende etwas Ruhe einkehrt.
Jörg Roßkopf: Es geht um viele Weltranglistenpunkte. So haben die Jungs wieder die Möglichkeit, sich ins Rampenlicht zu spielen. Vieles hängt mit der Auslosung zusammen. Es gibt nicht mehr so viele gesetzte Spieler. Dann kommt noch das Contender-Turnier in Slowenien [31. Oktober bis 6. November, Anm. d. Red.]. Ich hoffe einfach, dass es für 2023 einen vernünftigen Turnierkalender geben wird, sodass man sich auch vernünftig auf Olympia 2024 vorbereiten kann.
(FKT)
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