22.09.2022 - Wer am Wochenende das Finale des WTT Contenders in Almaty verfolgt hat, kann Ruwen Filus' eigene Überraschung über seinen Sieg sicher nachvollziehen. Mit 0:3 hatte er gegen Lin Yun-Ju schon zurückgelegen und das Spiel insgeheim schon abgehakt, wie er im Interview zugibt. Mit uns erlebt er den „unbeschreiblichen Moment“ des Titelgewinns noch einmal, erklärt, warum er nicht zur WM nach China möchte und warum es in der TTBL aktuell nicht so prächtig für ihn läuft.
myTischtennis.de: Mit welchem Ziel bist du zum WTT Contender nach Almaty gefahren?
Ruwen Filus: Mit dem Ziel, ein, zwei Spiele zu gewinnen. In diesem Jahr habe ich international noch nicht so gut gespielt. Oft bin ich in der ersten Runde bereits rausgeflogen, was daran lag, dass ich früh auf starke Gegner getroffen bin, aber was auch einfach schlecht von mir war. Von daher schraubt man die eigenen Erwartungen etwas runter, wenn man zu solch einem Turnier fährt, und schaut von Spiel zu Spiel.
myTischtennis.de: Und da lief es von Mal zu Mal besser, bis du plötzlich im Finale gegen Lin Yun-Ju standest. Mit welchem Vorsatz bist du in dieses Spiel gegangen? Schließlich warst du der Underdog, hast die einzige Begegnung zwischen euch beiden im vergangenen Jahr aber gewonnen.
Ruwen Filus: Ich wollte einfach mal schauen, was geht. Ich habe mir im Vorfeld auch unser Spiel in Doha aus dem letzten Jahr noch einmal angeschaut. Das ging zwar mit 3:0 an mich, aber ich habe auch ein paar Mal hinten gelegen, es hätte schon deutlich enger werden können. Mir war also klar, dass es ein schwieriges Spiel wird, aber trotzdem habe ich auch an meine Siegchancen geglaubt.
myTischtennis.de: Erklär mal, wie man gegen einen solchen Spieler einen 0:3-Rückstand im Finale eines WTT-Turniers wieder aufholt.
Ruwen Filus: Das war vor allem auch eine taktische Angelegenheit. Im ersten Satz hat er unheimlich stark gegen Abwehr gespielt, also wollte ich mehr über Angriff gehen. Aber ich habe es nicht geschafft, durchzukommen, weil er auch passiv gut dagegengehalten hat. Dann habe ich ins Spiel gefunden und mehr Sicherheit gewonnen. Er hat nicht mehr so dominant durchgezogen wie im ersten Satz und ich bin mehr und mehr in meinen Rhythmus gekommen. Zum Schluss hatte ich die perfekte Mischung aus Abwehr und Angriff - und er ist im letzten Satz schon auch merklich nervös geworden. Die Aufholjagd hatte also nicht nur spielerische, sondern auch taktische Aspekte.
myTischtennis.de: Was für ein Gefühl ist das, wenn man nach solch einer Aufholjagd dann den Matchball verwandelt und damit dieses Turnier auch noch gewonnen hat? Was ging dir durch den Kopf?
Ruwen Filus: Im ersten Moment konnte ich es gar nicht fassen. Bei 0:3 hatte ich das Spiel eigentlich schon fast abgehakt. Ich meine, natürlich gibt man nie auf und versucht es weiter. Aber unterbewusst setzt man halt doch schon einen kleinen Haken dran. Und dann hat sich plötzlich alles ganz anders entwickelt. Der Moment war wirklich unbeschreiblich. Sensationell.
myTischtennis.de: Wie bewertest du deine Leistung mit Blick auf das gesamte Turnier, in dem du ja unter anderem auch Anton Källberg geschlagen hast?
Ruwen Filus: Ich habe mich von Spiel zu Spiel gesteigert. Gegen Anton habe ich nicht mein bestes Tischtennis gespielt. Aber das heißt im Umkehrschluss, dass er auch nicht so gut wie sonst war. Normalerweise strahlt er gegen mich eine große Ruhe aus, aber diesmal hat er nicht in seinen Rhythmus gefunden und teils einfache Bälle nicht auf den Tisch gekriegt. Gegen Hiroto Shinozuka kam es dann zu längeren Ballwechseln und ich bin gut in den Rhythmus gekommen.
myTischtennis.de: Danach ging es schnell zurück in den TTBL-Alltag, wo du eine 0:3-Niederlage gegen Kirill Gerassimenko kassieren musstest. In der TTBL scheint es zuletzt nicht immer so prächtig für dich zu laufen - in der vergangenen Saison hattest du etwa eine Bilanz von 5:11, aktuell bist du in der zweiten Fuldaer Mannschaft gemeldet. International haust du aber immer wieder einen raus. Wie erklärst du dir diesen Unterschied?
Ruwen Filus: Ich kriege es einfach trainingstechnisch aktuell nicht hin, bei jedem Bundesligaspiel Topleistungen zu bringen. Das liegt daran, dass ich hier, wo ich wohne, keine Trainingsgruppe vor Ort habe. Es klingt vielleicht blöd, das als Profisportler zu sagen, ist aber leider so. Bei längeren Turnieren kann ich mich von Spiel zu Spiel steigern, da habe ich dann auch ein geregelteres Training, das mir hilft. Bei einer EM oder WM reisen wir sogar meist ein paar Tage vorher an und haben noch gutes Training. Aber wenn ich auf den Punkt da sein muss, habe ich aktuell Probleme damit, meine Leistung abzurufen.
myTischtennis.de: Viele unserer User haben nach deinem Sieg gesagt, dass du eigentlich einen WM-Platz verdient gehabt hättest. Laut Rossi war es aber deine eigene Entscheidung, nicht zu fahren. Warum wolltest du nicht zur WM nach China?
Ruwen Filus: Zur WM möchte ich grundsätzlich sehr gerne, aber durch die Bedingungen in China konnte ich einfach nicht guten Gewissens fliegen. Denn man ist auf die Flüge angewiesen, die von der ITTF gechartert wurden, von denen es aber nur wenige gibt. Wenn nun zu Hause etwas passiert und meine Familie mich braucht, möchte ich gerne kurzfristig entscheiden können, dass ich zurückfliege. Aber wer einen normalen Flieger nehmen möchte, muss vorher erst einmal sieben Tage in Quarantäne. Es ist also nicht möglich, kurzfristig die Rückreise anzutreten, wenn zu Hause ein Notfall passiert. Und da habe ich dann gesagt: Das mache ich nicht.
myTischtennis.de: Was hast du dir dann für dieses Jahr noch vorgenommen?
Ruwen Filus: Ich möchte noch ein paar WTT-Turniere spielen, zum Beispiel das Contender in Slowenien. Und dann werde ich mich nächstes Jahr auf die EM und natürlich auch wieder auf die WM konzentrieren.
(JS)
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