26.11.2021 - Auf den Fluren des George R. Brown Convention Centers laufen einem viele bekannte Gesichter über den Weg, unter anderem das des ehemaligen Damen-Bundestrainers Jörg Bitzigeio, der zwei Jahre als Sportdirektor beim US-Verband gearbeitet hat. Im Interview erzählt er, warum sein Engagement dort unschön und mit einem Rechtsstreit endete, warum er trotzdem in die USA zurückgekehrt ist und was für Möglichkeiten in diesem Land noch schlummern.
myTischtennis.de: Wir haben uns schon bei mehreren Weltmeisterschaften getroffen, aber immer in unterschiedlichen Positionen, die du da jeweils eingenommen hast. In welcher Rolle bist du heute hier in Houston?
Jörg Bitzigeio: Ich arbeite momentan als leitender Director an einem neuen Tischtennisprojekt in der Nähe von San Francisco namens 888 Table Tennis. Dabei handelt es sich um eine Akademie nach dem Vorbild der Werner Schlager Academy in Österreich, sprich ein internationales Tischtenniszentrum, das wir liebevoll als „your home for table tennis“ bezeichnen. Es ist für Spieler aus allen Leistungsklassen, aber natürlich ist eine Abteilung auch der Hochleistungssport. Und in dem Bereich wollen wir uns als Sprungbrett für Spieler aus Nord-, Zentral- und Südamerika etablieren, die das Ziel haben, professionell Tischtennis zu spielen, um später, nach einer sehr guten Grundausbildung bei uns, zum Beispiel nach Europa zu gehen. Diesen Weg würden wir den jungen Sportlern gerne ebnen und sie auf diesem begleiten. Für dieses Projekt bin ich gerade hier in Houston, um Kontakte zu pflegen und potenzielle Kooperationen auszuloten. Eine WM im eigenen Land bietet da gute Möglichkeiten.
myTischtennis.de: Aber du bist auch Kanak Jhas Privattrainer, oder nicht?
Jörg Bitzigeio: Ich habe mit Kanak seit 2017 bei USA Table Tennis als Sportdirektor und Coach und dann nach meiner Rückkehr nach Deutschland in den letzten zwei Jahren sogar täglich als sein Trainer und Manager gearbeitet. Bis das Angebot kam, das Projekt in Kalifornien zu leiten, für das Kanak auch als Botschafter wirbt. Ich bin aber mit ihm nach wie vor in sehr engem Kontakt, greife ihm in Sachen Management unter die Arme und coache ihn bei Turnieren oder wenn er in den USA bei uns im Zentrum trainiert. Ihn dann hier vor Ort live zu sehen und ihm zu helfen, ist dann selbstredend.
myTischtennis.de: Was hältst du denn von den chinesisch-amerikanischen Mixed-Doppeln, bei denen ja auch Kanak Jha mitmischen darf?
Jörg Bitzigeio: Eine schöne und hoffentlich erfolgreiche Show mit politischem Hintergrund. Ich gönne den amerikanischen Spielern, dass sie da einen Vorteil draus ziehen können, das ist eine Riesenchance aus sportlicher Sicht. Denn natürlich sind sie so deutlich stärker aufgestellt als jegliche US-Paarung, die hier hätte antreten können. Kanak und ich haben schon ein bisschen geschmunzelt, dass endlich jemand erkannt hat, wie gut Kanak Doppel und Mixed spielt, was er, glaube ich, seit über zwei Jahren nicht mehr getan hat. Er sieht sich auch selbst da nicht gerade als Experten an. Aber Spaß beiseite, das ist für ihn eine Riesengeschichte und auch auf jeden Fall gute Werbung für den Sport.
myTischtennis.de: Apropos Werbung. Wie wurde die WM denn im Vorhinein hier in den USA beworben? Weiß Amerika, dass hier gerade eine Tischtennis-WM stattfindet?
Jörg Bitzigeio: Sie wird nicht im amerikanischen Fernsehen gezeigt. Das ist schon mal das Manko Nummer eins. Und dann hat Amerika nach wie vor das Problem, dass Tischtennis nicht wirklich bekannt ist. Ping Pong ist bekannt, das spielen 17 Millionen Leute. Wenn man davon ein paar mehr zum Tischtennis bringen würde, wäre das ein Riesenschritt. Der Verband ist aber zu klein, wir reden hier über fünf bis sechs Angestellte, die für USA Table Tennis arbeiten. Ich hoffe, dass die WM etwas Positives bringt, aber einen Schub erwarte ich nicht. Ich glaube, wenn die Leute mit Visionen noch am Werk wären, die 2019 die WM hierhergeholt haben, wie zum Beispiel der ehemalige CEO Gordon Kaye, der auch mich damals im Jahr 2017 verpflichtet hatte, würde sich da von Verbandsseite aus einiges mehr bewegen als jetzt.
myTischtennis.de: Als du 2019 deinen Dienst als US-Sportdirektor quittiert hast, hieß es, das geschehe aus persönlichen Gründen. Hatte das auch mit der Veränderung in der Geschäftsführung zu tun?
Jörg Bitzigeio: Mitte 2019 haben wir eine neue CEO bekommen - und für mich hat das im ersten Gespräch leider nicht lange gedauert, um festzustellen, dass ich mit der Dame auf keinen Fall zusammenarbeiten kann, denn sie wollte von Anfang an alles, was wir in zwei Jahren mit viel Aufwand aufgebaut haben, zurückdrehen. Diese fehlende gemeinsame Basis, das Einschränken meiner bis dato erfolgreichen Arbeit bis hin zu Angriffen auf meine Familie haben mir dann nichts anderes übrig gelassen, als zu kündigen, dies schweren Herzens, denn mir lag sehr viel an den Sportlern und unserem Team. Nicht umsonst hatte ich erst Anfang 2019 für sechs Jahre verlängert - mit der Vorstellung, etwas Langfristiges aufzubauen.
myTischtennis.de: Ich habe gelesen, dass es am Ende auch noch einen Rechtsstreit gegeben hat…
Jörg Bitzigeio: Ja, da haben sie mich leider Gottes zu gezwungen, denn mein langfristiger Arbeitsvertrag beinhaltete eine Klausel zum Schutz meinerseits, die besagte, dass ich diesen vorzeitig auflösen kann und dann eine festgeschriebene Abfindung erhalte, wenn ich in meiner Verantwortlichkeit eingeschränkt werde. Und als mir diese ungerechtfertigt verweigert wurde, habe ich um meine Rechte gekämpft. Das Ganze ist nichts, worauf man stolz sein muss, weil das den Verband viel Geld gekostet hat, das auch in die Athleten hätte investiert werden können, aber das muss USATT selbst verantworten. Ich hatte sogar angeboten, das mittels einer Mediation zu lösen. Das hat die CEO aber dann in letzter Minute noch abgelehnt. Und dann ging es unweigerlich vor Gericht. Am Ende hat der Verband selbstverschuldet - aus finanzieller und sportlicher Sicht - doppelt bluten müssen.
myTischtennis.de: Dann bist du zurück nach Deutschland gekommen - aber offensichtlich hat es dich dort nicht lange gehalten.
Jörg Bitzigeio: Als wir Mitte 2019 zurückgekommen sind, hat meine Frau gesagt: Das war eine schöne Zeit, aber es reicht jetzt auch mit Amerika. Ich habe dann in Deutschland vor Ort weiter mit Kanak Jha und drei weiteren amerikanischen Spielern täglich auf deren Wunsch hin trainiert, diese hatte ich schon in meiner vorherigen Funktion bei USATT in der Grenzauer Bundesligagruppe platziert. Mein Ziel war schon damals, als ich beim Verband gearbeitet habe, den Leistungssportbereich finanziell unabhängig auf eigene Füße zu stellen. Ich hatte da schon eine Gruppe von Leuten in den USA gefunden, die das unterstützen wollte, auch als mein Weg im Verband zu Ende ging. Dieses Projekt mit den US-Boys war eine sehr interessante und tolle Zeit - bis dann das Angebot kam, wieder nach Amerika zurückzugehen. Meine Frau und ich sind frei und flexibel und Kalifornien ist auch noch mal etwas anderes als Colorado. Da haben wir uns gesagt, man lebt nur einmal und es wäre blöd, die Chance nicht zu nutzen. Und jetzt wollen wir mal sehen, was wir mit 888 Table Tennis hinbekommen.
myTischtennis.de: Was hat dich an diesem Projekt gereizt?
Jörg Bitzigeio: Ich finde es sehr spannend, weil ich glaube, dass Amerika nach wie vor große Möglichkeiten in diesem Bereich bietet. Nehmen wir einfach mal den heutigen Einzug von Kanak Jha in die Runde der besten 16 bei der WM oder den Sieg von Amy Wang gegen Nina Mittelham hier in Houston am ersten Turniertag. Amy hat noch nie längerfristig mit einer professionellen Gruppe trainiert, sie wurde zu Hause vom Vater im Keller ausgebildet, der selbst ein Autodidakt ist. Und diese 18-Jährige haut mal eben die Europe-Top16-Siegerin mit 4:0 vom Tisch. Das ist auf der einen Seite zwar sehr spannend, auf der anderen aber auch deprimierend, weil, wenn alles normal läuft, Amy Wang nächstes Jahr an die Uni geht und die Tischtenniskarriere damit mehr oder weniger beendet ist, bevor sie richtig angefangen hat. Das ist etwas, was mich nach wie vor antreibt. Ich mag es, neue Wege zu beschreiten, nicht in starren Systemen zu verharren und herauszufinden, ob Dinge funktionieren oder nicht. Das macht das Leben spannend.
myTischtennis.de: In was für einer Rolle sehen wir dich dann bei der nächsten WM?
Jörg Bitzigeio: Wer weiß denn schon, was morgen ist? (lacht) Nein, ich bin eigentlich kein Mensch, der gerne und oft wechselt. Mein Vertrag beim amerikanischen Verband war ja auch eigentlich über insgesamt 7,5 Jahre angelegt. Aber manchmal laufen die Dinge einfach anders als geplant. Natürlich bleibt auch immer ein gewisser Reiz, den deutschen Sport in einer Funktion zu unterstützen und zu fördern. Aber ich bin jetzt hier in den USA und fühle mich gut damit. Und als wir 2019 nach Deutschland zurückgekehrt sind, haben wir festgestellt, dass sich nicht viel verändert hat. Es ist nicht schwierig, wieder zurückzukommen und wir haben jederzeit die Möglichkeit, in ein Land zurückzukehren, das wir lieben und schätzen und das unsere Heimat ist und bleibt.
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(JS)
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