28.07.2021 - Als gestern Han Ying ihr erstes Match gegen Lay Jian Fang bestritt, saß auch ein bekanntes Gesicht auf der Tribüne, das nicht zum deutschen Team gehörte. Eva Jeler, die 37 Jahre lang als Trainerin beim DTTB arbeitete, ist seit Kurzem für die australische Nationalmannschaft zuständig. Im Interview erzählt sie, welche Hürden sich ihr und ihren Spielern wegen der strengen Coronapolitik der Australier in den Weg stellten, welche Juwelen im Aussie-Team schlummern und für wen ihr Herz im Duell mit Deutschland schlägt.
myTischtennis.de: Nach dem Ende deiner 37-jährigen Trainertätigkeit beim DTTB hast du in diesem Jahr einen neuen Job im australischen Tischtennisverband begonnen. Wie geht es dir ‚down under’?
Eva Jeler: Ich bin jetzt ein halbes Jahr da und hatte sehr wenig Zeit, mir irgendwas anzuschauen. Ich bin eigentlich nur in der Halle - also, zehn Stunden am Tag, sechs Stunden davon reines Tischtennis. Ich wohne in Melbourne, einer super Stadt. Der Umgang miteinander ist viel lockerer als in Deutschland. Meine Arbeit ist toll, weil ich junge Leute um mich herum habe, die motiviert und sogar talentiert sind. Ich bin vollkommen zufrieden und glücklich. Ich habe die richtige Entscheidung getroffen.
myTischtennis.de: Und wie schaut es mit Corona aus? Beeinträchtigt dich die Pandemie in irgendeiner Weise? Australien fährt ja einen sehr strikten Kurs…
Eva Jeler: Sie sind für meinen Geschmack fast zu streng mit ihren Maßnahmen. Da sind fünf Fälle und Millionen Menschen gehen in einen Lockdown. Aber in einen kurzen - und dann geht es zurück in die Freiheit. Victoria, wo Melbourne liegt, ist da sehr konsequent und deshalb stehen sie auch wirklich gut da. Turniere haben wir wegen der Pandemie bisher noch gar keine spielen können. Es waren eigentlich große australische Meisterschaften in allen Kategorien - Senioren, Jugend, Schüler, etc. - geplant. Und wir waren schon in Brisbane, alle waren bereit. Doch dann kam ein Lockdown und es fand nicht statt. Dann wollten wir zwei Pro-Turniere spielen, aber genau zu dem Zeitpunkt gab es einen Lockdown in Melbourne. Also, es war ein bisschen Pech. Zumindest dürfen wir, wenn ein Lockdown ist, trotzdem immer trainieren. Man muss dann mit dem Trikot zur Halle fahren - und wenn sie dich anhalten, sagst du: „Schau mal, ich gehöre zur Nationalmannschaft“.
myTischtennis.de: Was für Strukturen hast du denn in Australien vorgefunden - gerade auch im Vergleich zu Deutschland? Was läuft da anders, was ist besser oder schlechter?
Eva Jeler: Die Strukturen sind eigentlich nicht zu vergleichen mit Deutschland. Dort läuft zum Beispiel sehr viel über privates Training. Das ist zwar nicht per se schlecht, aber diese Trainer versuchen, die Spieler bei sich zu halten - was ich verstehe, das ist deren Leben. Aber sie wollen nicht, dass die Spieler besser werden, sondern gerade so gut sind, dass sie bei ihnen bleiben. Das ist dort ganz normal und ich verurteile es nicht, aber für die Jungen ist das System schlecht. Als ich kam, hat John Murphy, mit dem ich arbeite, es geschafft, dass die besten Jugendlichen doch gemeinsam trainieren können - zwar nur die aus Melbourne, aber das waren glücklicherweise die besten. Wir haben eine sehr schöne Halle, können morgens, mittags, abends trainieren. Diese Strukturen sind gut. Die Jugendlichen absolvieren dort auch ihren Online-Fernunterricht, verbringen also ihren ganzen Tag in der Halle. Einer von ihnen, Nicholas Lum, fährt um 7 Uhr morgens zum Training los und verlässt um 18 Uhr wieder die Halle. Und es funktioniert: Er ist ein guter Schüler, hat super Noten und ich glaube, er könnte im Tischtennis echt gut werden.
myTischtennis.de: Aber hier in Tokio ist er noch nicht dabei?
Eva Jeler: Das ist Pech, er könnte gegen die alle gewinnen. Aber die Qualifikation kam zu früh für ihn, da war er 14,5 Jahre alt. Da konnte er gegen erwachsene Spieler noch nicht viel ausrichten. Aber er ist nicht das einzige Talent, das wir haben. Da wäre zum Beispiel noch Fynn Luu oder Yangzi Liu, ein 19-jähriges Mädchen, das in China geboren wurde, aber früh ausgewandert ist. Drum herum gibt es noch eine Gruppe, aus der auch noch der eine oder andere hervorgehen kann. Also, insgesamt haben wir für die Zukunft eine schöne Mannschaft, die da reift.
myTischtennis.de: Aber kommen wir von der Zukunft noch mal zurück in die Gegenwart. Wie zufrieden bist du mit dem bisherigen Abschneiden der Australier hier in Tokio? Lay Jian Fang hat es ja zum Beispiel bis in die dritte Runde geschafft, wo dann Han Ying wartete.
Eva Jeler: Sie ist eine erfahrene Spielerin, es macht Spaß mit ihr. Sie ist eine sture Person mit einer starken Mentalität, aber wir respektieren uns gegenseitig. Sie ist ein Profi - egal wann, ob beim Training oder Spiel, ist die Faust da und sie will jeden Punkt gewinnen. Melissa Tapper ist momentan noch halb Profi, sie trainiert auch in unserer Gruppe mit. Und die anderen sind halt Amateure. Eine ist Mathematiklehrerin, einer ist in der Möbelbranche, ein anderer hat eine gute Position bei PayPal - sie haben auch noch andere Karrieren. Vor Olympia hatten wir einen Lehrgang in Brisbane, aber die, die in Sydney leben, waren einen Monat im Lockdown und konnten nicht raus. Michelle Bromley hat im Park auf einer Steinplatte trainiert, weil sie sich draußen zumindest bewegen durfte. Das ist Wahnsinn! Also, unter diesen Umständen haben sich unsere Spieler zum Teil vorbereiten müssen. Wenn man sich ihre Leistungen jetzt hier anschaut, kann man sagen: Sie verlieren zwar die meisten Spiele, aber es nicht so, dass du da hinten sitzt und dich schämst. Das ist für ihre Verhältnisse durchaus respektabel.
myTischtennis.de: Und was ist, wenn du dahinten sitzt und Deutschland gegen Australien spielt, wie das zum Beispiel in der ersten Runde des Damen-Teamwettbewerbs sein wird? Schlagen da nicht zwei Herzen in deiner Brust?
Eva Jeler: Nein, das Spiel werde ich nicht coachen. Da habe ich einen guten Instinkt bewiesen, ich habe schon vorher gesagt: John, du nimmst die Damen, ich die Herren (lacht). Aber nein, ich bin Profi. Australien muss gewinnen, fertig.
myTischtennis.de: Dein Vertrag läuft erst mal über zwei Jahre. Du hattest vor deiner Abreise aus Deutschland gesagt, dass es eventuell auch länger dauern könnte. Was sagt dir gerade dein Gefühl? Möchtest du in Australien bleiben?
Eva Jeler: Ich sage: ‚Schaumamal‘! Ich werde jetzt 68 Jahre alt und bin dankbar, dass mein Körper mitmacht. Es gibt nicht viele in meinem Alter, die hier herumlaufen. Da fühle ich mich echt wie ein Methusalem. Es kann immer etwas passieren. Aber wenn nicht… So zwei Jahre könnte ich vielleicht noch drauflegen. Meine Tochter sagt: „Mama, du bist zwar verrückt, aber mach es, wenn dir das Spaß macht.“
(JS)
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