Buntes

Jörg Roßkopf: "Die EM war nur eine Zwischenstation"

Jörg Roßkopf richtet den Fokus voll auf die Olympischen Spiele. (©WTT)

02.07.2021 - Mit vier Goldmedaillen erzielten die DTTB-Asse bei der Individual-Europameisterschaft in Warschau ein historisch gutes Ergebnis. Unabhängig vom starken Abschneiden war das Turnier jedoch nur ein Zwischenstopp auf dem Weg nach Tokio. Herren-Bundestrainer Jörg Roßkopf zieht im myTischtennis.de-Interview Bilanz und verrät, wie die letzten dreieinhalb Wochen vor den Olympischen Spielen aussehen, um in Japan wieder eine Medaille in den Händen halten zu können.

myTischtennis.deRekordeuropameister Timo Boll holte seinen achten EM-Einzeltitel und sein 20. EM-Gold insgesamt. Bei ihm scheint es wie bei einem guten Wein zu sein: je älter desto besser. Spaß beiseite, was macht ihn auch mit 40 Jahren noch so stark?

Jörg Roßkopf: Die EM lief sehr positiv für ihn, die Ergebnisse waren herausragend. Das Turnier wäre sicherlich anders zu bewerten, wenn es zu einem anderen Zeitpunkt stattgefunden hätte und die Spieler ihre volle Konzentration darauf hätten legen können. Trotzdem gibt ihm der Titel viel Selbstvertrauen. Er weiß, wo er steht, hat viele Spiele gemacht und ist körperlich und spielerisch absolut in Topform. Wir werden noch lange Freude an ihm haben. Denn es ist ja nicht so, dass er nach Olympia aufhört. Aber auch für ihn ist es wichtig, in dreieinhalb Wochen gut zu spielen. Das weiß er auch. Da sind wir alle gefragt. Man kann es natürlich nie planen, aber wir versuchen alle Spieler optimal vorzubereiten.

myTischtennis.deIm Doppel lief es dafür weniger rund. Boll scheiterte mit Patrick Franziska in der ersten Runde. Franziska enttäuschte auch im Einzel und Mixed. Wie beurteilen Sie seine Leistung?

Jörg Roßkopf: Uns war allen klar, dass die EM, egal in welche Richtung sie läuft, nur eine Zwischenstation sein wird. Ich habe allen Spielern vorher gesagt, dass wir die EM schnell abhaken, um die Konzentration wieder voll auf Olympia zu richten. Unser olympisches Mixed-Doppel (Franziska und Petrissa Solja, Anm. d. Red.) hat nicht erfolgreich abgeschnitten. Daran muss man weiter arbeiten. Wichtiger war es, ein Feedback zu bekommen. Wie läuft’s, wie ist der Stand der Dinge? Auf diese Kleinigkeiten versuchen wir einzugehen und werden im Training weiter Gas geben.

myTischtennis.deDang Qiu hat mit Nina Mittelham als zweites deutsches Mixed-Doppel Gold gewonnen. Wie wichtig war dieser Erfolg speziell für Qiu, der sowohl für das EM-Einzel als auch als vierter Mann für Olympia nicht nominiert wurde?

Jörg Roßkopf: Für beide war der Titel toll und enorm wichtig. Dang war natürlich enttäuscht über seine Nicht-Nominierung. Das hat eine Weile angehalten, aber daraus entwickelt sich auch ein Ehrgeiz und eine Motivation, um beim nächsten Mal dabei zu sein. Das Ziel müssen die Spieler haben. Es war bitter für ihn, innerhalb von zwei Wochen zweimal nicht berücksichtigt zu werden. Er hätte es sicherlich auch verdient gehabt, aber da muss er durch. Das sind Profis. Im Einzelgespräch können die Spieler nicht immer alle Gründe für sich erklären. Es gibt immer auch Gegenargumente. Es ist nun mal meine Aufgabe als Chef, die Entscheidung zu treffen. Die machen wir uns im Trainerteam nicht immer leicht. Wir lagen in den letzten Jahren nicht so schlecht.

myTischtennis.deSich hinter Boll und Ovtcharov auf Dauer festzuspielen ist für keinen Spieler einfach, oder?

Jörg Roßkopf: Es ist immer schwer, wenn man eine starke Generation vor sich hat und die Spieler lange dabei sind, die die Jüngeren ausbremsen. Das war in Ungarn oder Schweden mit Waldner, Persson und Appelgren früher nicht anders. Dangs Ziel muss es sein, in Zukunft fest als Nummer drei, vier oder fünf zur Mannschaft zu gehören. Da sehen wir bei ihm viele Perspektiven. Ich bin froh, dass Boll und Ovtcharov lange spielen und ihr Niveau halten. Die Jungen müssen die Älteren irgendwann angreifen. Die Enttäuschung muss da sein, sollte aber gleichzeitig auch umgesetzt werden in positive Energie, um wieder nach vorne zu schauen.

myTischtennis.deVom europäischen Triumph zum weltweiten Vergleich: Die Chinesen wussten im landeseigenen Testwettkampf zu überzeugen. Wie verfolgen Sie die Asiaten und wie schätzen Sie ihre Form nach der langen Pause ein?

Jörg Roßkopf: Man schaut sich die Spiele an, klar. Aber im Endeffekt sind das reine Trainingswettkämpfe. Man weiß, dass die Konzentration eine völlig andere ist, als wenn man zu einem Top-Turnier kommt. Es ist für alle eine schwierige Situation. Deshalb muss man abwarten, wie die Asiaten damit umgehen. Es ist aber auch nicht so, dass die Chinesen, Japaner oder Südkoreaner die Sportart im letzten halben Jahr komplett neu erfunden haben und sich innerhalb von sieben, acht Monaten alles geändert hat. Ich weiß, dass sie gut drauf sind. Das sind wir auch. Wir haben zwei Top-10-Spieler und wollen natürlich auch unsere Medaille holen. Dass es schwer wird – keine Frage.

myTischtennis.de: Für zusätzliche Matchpraxis unter Wettkampfbedingungen werden Ihre Spieler noch ein zweitägiges Vorbereitungsturnier in Düsseldorf absolvieren. Welche Erkenntnisse erhoffen Sie sich?

Jörg Roßkopf: Mit dem Mannschaftsspiel inklusive Doppel wollen wir den Olympia-Modus verinnerlichen. So haben wir beim letzten Mal bei den European Games gespielt. Zudem findet der Trainingswettkampf in einer anderen Halle statt, um sich ein bisschen umzustellen. Jeder soll versuchen, sein Maximum herauszuholen. Fest steht, bei Olympia wird bei 0:0 umgeklappt. Da interessiert es keinen, wie die Vorbereitung war, sondern man muss topfit und vor allem mental auf der Höhe sein.

myTischtennis.deWie sehen die letzten Tage und Wochen vor Abflug genau aus? Gibt es Rituale? Spüren Sie ein Kribbeln?

Jörg Roßkopf: Die Anspannung ist auf jeden Fall bei uns allen da. Wir versuchen, uns in den nächsten zweieinhalb Wochen individuell vorzubereiten, vor allem im athletischen und physiotherapeutischen Bereich. Da können die Spieler im Training viel entscheiden, um mit einem guten Gefühl ins Flugzeug zu steigen, das dann hoffentlich auch in Tokio landet.

(FKT) 

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