07.05.2021 - Luise Böttger aus Leipzig spielt seit knapp 20 Jahren Tischtennis, in denen sie fast immer nur mit Jungs und Männern gemeinsam am Tisch stand. Die Tatsache, dass sie in Sachsen als Frau in Herren-Teams nur auf Kreisebene spielen darf, ist der gebürtigen Ostsächsin schon lange ein Dorn im Auge. Deswegen überlegte sie sich mit ihrem Verein, dem SSV Stötteritz, eine ungewöhnliche Form des Protests, mit der sie den Sächsischen Verband zum Nachdenken bringen möchte.
Vom Kindesalter an spielte der kleine weiße Ball eine große Rolle im Leben von Luise Böttger. Diese Leidenschaft kam nicht von ungefähr. Aufgewachsen in einer sportbegeisterten Familie brachte Großvater Heinz der damals Elfjährigen ihre ersten Schläge bei. „Er war immer mein Vorbild und ist hier bekannt wie ein bunter Hund“, sagt Luise über den einstigen DDR-Jugendmeister, der vor dem Mauerbau in Düsseldorf sogar ein Doppel mit Eberhard Schöler bildete. Bei ihrem Heimatverein in Bautzen musste sich Luise Böttger früh als einziges Mädchen in ihrer Altersklasse behaupten. „Sportlich ging es gut. Es war zwar nicht immer einfach, aber auch schnell normal, weil es keine andere Alternative für mich gab“, erinnert sich die heute 29-Jährige.
Unterschriftenaktion und Positionspapier bezweckten nichts
Die junge Frau hatte früh Ambitionen, höher zu spielen und fiel mit guten Leistungen und Bilanzen auf. Ein Wechsel in die bis dahin einzige Damenmannschaft im Bezirk zerschlug sich allerdings aus organisatorischen Gründen, so dass es Luise im Teenageralter zum TSV Weißenberg zog, wo sie im Herren-Bereich zu ersten Staffelsiegen beitrug. Den Aufstieg durfte der Klub nie wahrnehmen. Denn: Im Gebiet des Sächsischen TTV (STTV) ist es Frauen nicht erlaubt, in Herren-Mannschaften oberhalb der Stadt- und Kreisebene aufzuschlagen. Die Weißenberger Teamkollegen machten Luise Mut, etwas zu verändern. Weit gekommen sind sie damals noch nicht. Weder eine Unterschriftensammlung, noch eine im vergangenen Jahr gestartete Petition inklusive eines verfassten, zweiseitigen Positionspapiers führten zum Erfolg einer Ausnahmeregelung.
„Am Anfang waren wir noch super motiviert, bis wir immer mehr Rückschläge einstecken mussten“, berichtet Luise Böttger, die sich trotz kurzzeitiger Resignation nie komplett unterkriegen ließ. Zum Studium verlagerte sie ihren Lebensmittelpunkt nach Leipzig und landete nach Zwischenstationen bei den Leutzscher Füchsen und dem TTC Holzhausen vor eineinhalb Jahren bei ihrem aktuellen Verein, dem SSV Stötteritz. Im Südosten Leipzigs gerieten die Dinge mit Blick auf das Thema Gleichberichtigung dann so richtig ins Rollen. „Ich habe sofort sehr viel Unterstützung erfahren“, sagt Luise, die als Nummer eins der 2. Herren gleich in der ersten Saison mitverantwortlich für den Aufstieg in die Stadtoberliga war.
„Schnurrbart-Protest“: Volle Rückendeckung von Mitspielern und Gegnern
Die Hürden, die sie während ihrer Laufbahn schon im Übergang von Jugend- in den Erwachsenenbereich zu meistern hatte, waren groß. Vom Niveau her nicht dort spielen zu dürfen, wo man eigentlich hingehört – diese Einschränkung macht Luise Böttger bis heute mächtig zu schaffen. Eine logische Erklärung für die Regelung hat die 29-Jährige nicht: „Ich habe mich schon mit so vielen Leuten, aus den unterschiedlichsten Sportarten, darüber ausgetauscht. Die Entscheidung kann niemand so richtig nachvollziehen.“ Anders als beispielsweise in der Kontaktsportart Fußball zähle schließlich nur die reine Leistung am Tisch.
Der große Zuspruch ihrer Stötteritzer Vereinskameraden gab letztlich den Ausschlag für eine besondere Art des „Schnurrbart-Protests“ bei einem Kreispokalspiel 2020, in dem Luise Böttger als Dame ebenfalls nicht spielberechtigt war. Um aufzufallen klebte sie sich einen im Kostümverleih besorgten Papp-Schnauzer unter die Nase und setzte damit ein Zeichen, wohlwissend, einen Verstoß gegen das Regelwerk begangen zu haben. „Wir haben uns gesagt, wenn wir schon ein Statement setzen, dann richtig. Die Aktion kam bei allen Beteiligten super an, auch beim Gegner.“ Mit einem 3:0-Erfolg zog der SSV in die nächste Runde ein, wurde aber drei Tage später nachträglich disqualifiziert. Die eigentlich unterlegenen Gegner von Roter Stern Leipzig verzichteten aus Solidarität auf das Weiterkommen und traten nicht mehr an. „Das war sehr fair und hat uns alle extrem überrascht. Mehr Bestätigung geht nicht.“
STTV gibt Wertungsfehler zu und sieht den Damen-Spielbetrieb gefährdet
Welch hohe Wellen Luise Böttger mit der Idee in der Öffentlichkeit schlagen würde, konnte kaum jemand erahnen. Die Aktion ging herum wie ein Lauffeuer, viele Vereine stellten sich hinter Luise Böttger. So weit, dass der STTV auf Anfrage von myTischtennis.de am Donnerstag etwas richtigstellte. Geschäftsführer Steffen Dörfler teilte gegenüber dieser Redaktion mit: „Frau Böttger durfte entsprechend unserer Wettspielordnung in ihrer Herrenmannschaft am Stadtpokal teilnehmen. Die Abwertung des Pokalspieles war laut WO nicht regelgerecht und hätte sicher auch bei einem Einspruch beim Bezirks- oder Verbandsschiedsgericht keinen Bestand gehabt. Uns als Verband war diese Spielabwertung bisher nicht bekannt. Wir haben inzwischen den Stadtfachverband Leipzig informiert, dass diese Abwertung nicht regelgerecht war.“ Böttger hat gehört, dass der Stadtverband Leipzig überlegt, die Regelung aufzuheben.
Die Stötteritzerin stand darüber hinaus in der Vergangenheit schon öfter in Kontakt mit dem STTV, ihr Fall ist in Sachsen seit geraumer Zeit bekannt. Das Hauptargument von Seiten des Verbands: Die Zulassung von Frauen in gemischten Teams würde eine Gefahr für die Anzahl der Damenmannschaften mit sich bringen. In anderen Verbänden, beispielsweise in Baden-Württemberg, seien Damen in Herren-Teams ab Bezirksebene zwar zulässig. Jedoch sei laut Präsident Thomas Neubert ein allgemeiner Rückgang der Damen-Mannschaften zu verzeichnen, was sich wiederum bei einem kleinen Verband im Gegensatz zu den größeren als kaum verkraftbar darstelle, um den Damenspielbetrieb stabil zu halten. So habe sich der Damen-Mannschaftsspielbetrieb in den vergleichbaren, mitteldeutschen Nachbarverbänden wie in Sachsen-Anhalt halbiert „und in Thüringen gab es diesen de facto 2019/20 nicht mehr. Jetzt ist es dort aufgrund doppelter Spielberechtigungen gelungen, einen kleinen Spielbetrieb wieder aufzubauen“, heißt es in der schriftlichen Stellungnahme.
Neue Diskussion auf dem Verbandstag 2022?
Erstaunlich: Während in ganz Sachsen über 200 Herrenteams auf Bezirksebene um Punkte kämpfen, sind es bei den Damen gerade mal 20. Das entspricht einem Frauenanteil von rund 15 Prozent. Luise Böttger entgegnet der Verbandsäußerung mit wenig Verständnis: „Es geht nicht darum, die wenigen Mannschaften zu halten, sondern vielmehr darum, mehr Frauen für den aktiven Tischtennissport zu begeistern“, was sich wiederum auch positiv auf den Nachwuchs auswirken könne. Die 29-Jährige fordert ein, „andere Wege einzuschlagen“, um zu ermöglichen, „als Frau dem Niveau entsprechend und ohne großen Fahrtaufwand in einem nahegelegenen Verein spielen zu können.“
Luise Böttger möchte den Verband zum Nachdenken animieren und weiterkämpfen. Die große Hoffnung, etwas lostreten zu können, wird sie so schnell nicht begraben. Die Mitarbeiterin aus der Presseabteilung des Sächsischen Fußball-Verbands wünscht sich für die Zukunft, viele weitere Vereine aus der Region mit ins Boot zu holen, um mit Blick auf einen möglichen Ordnungsänderungsantrag auf dem Verbandstag 2022 etwas bewegen zu können. „Es wäre ein Traum, wenn viele dafür stimmen, die Grenze auf Bezirksebene anzuheben.“ Druck spüre der STTV zwar nicht, dennoch werde der Vorstand die Festlegungen immer wieder neu zur Diskussion stellen und ggf. auch neu entscheiden. „Wie bisher zu jedem Verbandstag, wird auch 2022 wieder über die Einsatzberechtigungen von Damen in Herrenmannschaften auf Bezirks- und Verbandsebene beraten und es werden alte Festlegungen bestätigt oder neue Festlegungen getroffen. Man kann sicher sein, dass wir besonders die Interessen einer großen Anzahl unserer Tischtennis spielenden Damen mit unseren Festlegungen unterstützen und schützen“, kommuniziert Geschäftsführer Steffen Dörfler.
Mehr als zwei Drittel aller Verbände (darunter wie angesprochen auch einige kleinere) lassen den gemischten Spielbetrieb oberhalb der Kreisebene zu. Auch wenn Luise Böttger sich freiwillig gegen die Damen-Mannschaft – die passionierte Tischtennisspielerin war kurzzeitig in der Damen-Oberliga aktiv - und für einen Wettkampf unter Männern entschieden hat, will sie auf Dauer etwas ändern. Mit ihren Bemühungen, noch mehr Aufmerksamkeit für das Thema Gleichberechtigung im Tischtennis zu generieren und sich vermehrt für die Sache einzusetzen, steht die Leipzigerin gerade erst am Anfang.
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Luise Böttger neben ihren Stötteritzer Mannschaftskameraden. (©Luise Böttger/SSV Stötteritz)
(FKT)
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