WM 2018

Team-Arzt Toni Kass: So geht es der „Hüfte der Nation“!

Toni Kass behandelt Dimitrij Ovtcharov auch während der WM weiter (©Stosik)

29.04.2018 - Eine Frage hat die deutsche Tischtennisnation in den vergangenen Wochen ganz besonders beschäftigt: Wird Dimitrij Ovtcharov rechtzeitig zur WM seine Entzündung im Hüftbereich auskuriert haben und in Topform nach Schweden reisen? Vor dem ersten Spiel der Herren haben wir uns mit dem deutschen Teamarzt Toni Kass unterhalten, der uns von seinem ‚Toni-Score‘ erzählt und einschätzt, wie hoch die Gefahr ist, dass die Entzündung in Halmstad wiederkommt.

myTischtennis.de: Bei der letzten Team-WM in Kuala Lumpur gab es in der deutschen Mannschaft das eine oder andere Sorgenkind aus gesundheitlicher Sicht. Wie sieht es diesmal aus? Sind alle fit?

Toni Kass: Natürlich ist die „Hüfte der Nation“ noch ein Thema, aber Dima sagte, dass es deutlich besser geht - wenn er auch noch nicht bei 100 % ist. Der Trainingsrückstand ist halt auch noch vorhanden. Aber sonst sind meines Wissens nach alle gesund und munter. Ich bin zwar erst gestern Abend angekommen und habe noch nicht alle gesehen, aber mir sind keine Katastrophen bekannt. 

myTischtennis.de: Diese Entzündung im Hüftbereich, die Dimitrij Ovtcharov zuletzt zu einer Pause zwang, ist aber komplett ausgeheilt? Oder muss man die Sorge haben, dass sie wiederkommt, wenn er die Hüfte nun belastet?

Toni Kass: Wenn er die Hüfte belastet, besteht die Gefahr, dass die Entzündung wiederkommt, ja. 

myTischtennis.de: Würdest du normalerweise, wenn keine WM wäre, dazu raten, die Hüfte weiter zu schonen?

Toni Kass: Normalerweise würde ich das tun. Aber diese Frage kommt ja oft auf: Man hat eine Verletzung, aber es steht ein wichtiges Turnier an. Soll man spielen oder nicht? Ich habe dazu den ‚Toni-Score‘ entwickelt. Auf der einen Seite bewertet man die Schwere der Verletzung auf einer Skala von eins bis vier, wobei ‚eins‘ bedeutet, dass die Einschränkung überschaubar ist und man trainieren kann, und ‚vier‘ schon in Richtung drohendes Karriereende zielt. Dimas Verletzung würde ich bei ‚zwei‘ einordnen. Dann ordnet man die Bedeutung des Turniers ebenfalls auf einer Skala von eins bis vier ein. Vom einfachen Training über die Bundesliga, über EM und World-Tour-Turniere bis zur WM und den Olympischen Spielen. Eine Team-WM würde ich bei ‚drei‘ einordnen. Wenn nun die Bewertung des Events eine Stelle höher ist als die Schwere der Verletzung, kann man darüber reden, ob der Spieler das Turnier bestreitet. Und das war bei Dima der Fall. Wenn nun Olympische Spiele, also eine ‚vier‘ auf der Skala, bevorgestanden hätten, hätte man jedoch gar nicht lange überlegt.

myTischtennis.de: Was kann man gegen eine solche Entzündung tun? Einfach pausieren und schonen?

Toni Kass: Wir haben schon eine Menge versucht - Spritzen gesetzt, Physiotherapie gemacht. Aber das Beste war Ruhe. Wenn diese Entzündung ausgeheilt ist und bei Belastung trotzdem wiederkommt, muss man mal überlegen, ob man was anderes, vielleicht sogar einen Eingriff, vornimmt. Aber das ist rein hypothetisch gesprochen. Mit den bisherigen Maßnahmen sind wir auf einem guten Weg. Das hier ist natürlich jetzt der Härtetest.

myTischtennis.de: Inwiefern ist solch eine Pause von mehreren Wochen denn überhaupt ein Problem für einen Topspieler wie Dimitrij Ovtcharov?

Toni Kass: Es wird oft gesagt, Timo könne solch eine Pause locker wegstecken, Dima müsse allerdings voll im Saft stehen. Es kann gut sein, dass ein solcher Spieler wie Dima die ersten Spiele erstaunlich gut meistert, aber halt noch nicht die Konstanz hat, die man von ihm gewohnt ist. Das Problem ist, dies über das lange Turnier zu halten.

myTischtennis.de: Würdest du als Arzt ihm denn raten, es in der Vorrunde langsam angehen zu lassen, um dann bei den entscheidenden Spielen noch frisch zu sein, oder ganz im Gegenteil, die Vorrunde zu nutzen, um wieder reinzukommen?

Toni Kass: Naja, es nützt ja nichts. Wenn die Entzündung wieder auftritt, dann ist das so. Ich würde ihm raten, in der Vorrunde Spielpraxis zu sammeln und wieder Vertrauen in die Hüfte zu bekommen. Wenn er sich in der Gruppenphase zwei, drei Partien einspielt und alles gut geht, kann er es dann hinten raus ja etwas langsamer angehen lassen. Ich denke nicht, dass es was bringt, wenn er sich jetzt am Anfang schont. Aber letzten Endes muss das der Trainer entscheiden. 

myTischtennis.de: Werden jetzt während der WM noch irgendwelche besonderen Maßnahmen ergriffen oder erhält er dieselbe Behandlung wie alle anderen Spieler?

Toni Kass: Doch, wir machen hier weiter. Gestern Abend hat er schon Akupunktur bekommen und dann haben wir auch noch die Möglichkeit, eine Akupunktur mit Strom, NSM genannt, anzuwenden, die immer sehr gute Ergebnisse bringt. Bei der WM in Düsseldorf hatte Patrick Franziska zum Beispiel Probleme mit dem Oberschenkel. Nach der Behandlung abends hat er am nächsten Tag ein Sieben-Satz-Spiel gemeistert. Von daher haben wir noch ein bisschen was in der Hinterhand…

(JS)

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