Wang Xi und Philipp Floritz starten in Zukunft nicht mehr für ihre ursprüngliche Nation (©Roscher)
17.08.2015 - Das Thema Nationenwechsel ist dieser Tage wieder aktuell, nachdem Wang Xi seine deutsche Staatsbürgerschaft erhalten hat und Philipp Floritz sein erster Einsatz für Bulgarien bevorsteht. Unser freier Redakteur Jan Lüke zeigt in seinem Blog, dass für die Bewertung von Nationenwechseln viele Aspekte berücksichtigt werden müssen, und nimmt die Dachverbände in die Verantwortung, striktere Regelungen zu finden.
Wenn man sich den Wikipedia-Beitrag zur Handball-Nationalmannschaft der Herren des arabischen Emirats Katar anschaut, findet sich dort, so weit nichts Ungewöhnliches, der Kader des aktuellen Vize-Weltmeisters. Die Spieler sind dort gelistet mit Geburtstag, Position, Größe oder Verein. Was man so wissen muss und möchte über populäre Sportler von öffentlichem Interesse. Und dann gibt es da eine weitere Kategorie: „Vorherige Nationalmannschaften“ heißt die. Die Sportnation Katar hat sich in diesem Jahr unter anderem auch deshalb einen Namen gemacht, weil sie als ohnehin schon fragwürdiger Ausrichter der Handball-Weltmeisterschaften eine Mannschaft ins Rennen schickte, dessen erste Sieben fast durchweg aus Spielern bestand, die kurzfristig eingebürgert und schnurstracks in den Nationalkader überführt wurden. Denn beim Turnier zwei Jahre zuvor war Katar noch 20. geworden. Das wäre vor heimischen (und im Übrigen leeren) Rängen nicht denkbar gewesen für die stolzen Kataris, die deshalb letztlich gerade einmal vier Einheimische in den eigenen Kader beriefen.
Thema auch im Tischtennis drängend
Von solchen Verhältnissen ist Tischtennis fürwahr weit entfernt, bevor das Bild aufkommen mag, dass es sich um eine vergleichbare Dimension handelt. Und dennoch ist das Thema auch im Tischtennis seit jeher drängend – und dieser Tage gar aktueller denn je: Philipp Floritz verließ den Deutschen Tischtennis-Bund (DTTB), Wang Xi ging den umgekehrten Weg – und wäre nach seiner Einbürgerung nun für den DTTB auch in der Nationalmannschaft spielberechtigt. Floritz und Wang reihen sich damit in eine Liste ein, in der sich auf der einen Seite etwa Thomas Keinath (heute: Slowakei) oder Amelie Solja (heute: Österreich), auf der anderen etwa die aktuellen deutschen Nationalspielerinnen Han Ying und Shan Xiaona (früher: beide China) fanden. International ist das nicht anders: Vor allem das europäische Tischtennis wird seit Jahren dominiert von Spielerinnen, die einst für andere Nationen spielberechtigt waren. In den meisten Fällen: gebürtige Chinesinnen.
Wie ich finde, muss man bei der Bewertung solcher Prozesse, die im professionellen Tischtennis eine große Bedeutung eingenommen haben, viele Aspekte berücksichtigen, um zu den richtigen Schlüssen zu gelangen. Ein einfaches ‚Das ist gut‘ oder ‚Das ist schlecht‘ ist genau das: zu einfach. Ganz grundsätzlich gibt es in dieser Debatte ein ziemlich hartes Kriterium: eine Staatsbürgerschaft. Die macht Menschen in Zeiten, in denen Nationalstaaten noch immer eine derart große Bedeutung haben, zu Bürgern eines Landes. Darüber gibt es keine zwei Meinungen. Wang Xi, Han Ying und Shan Xiaona sind keine anderen Deutschen als alle anderen. Als solche, auch das ist meiner Meinung nach unzweifelhaft, sollten ihnen zunächst alle Wege offen stehen, die jedem anderen Deutschen offen stehen – neben vielen Rechten und Pflichten in einem Sozialstaat gehört dazu auch das Recht und die Möglichkeit, ihr Land in einer Nationalmannschaft zu vertreten. Das ist die politische Dimension des Themas. Dass, je nach Nation, Einbürgerung nicht gleich Einbürgerung ist und manche Nationen einen Einbürgerungsprozess entsprechend beschleunigen können, weil wollen, hat das Tischtennis als gegebene Tatsache zu betrachten, die in manchen Fällen fragwürdig ist, aber eben nicht diskutabel – außer für die jeweiligen Parlamente.
Wann sind Nationenwechsel möglich?
Außerdem gibt es aber noch eine sportpolitische bzw. sportliche Dimension. Nicht von ungefähr kommt es, dass in jeder Sportart Regularien vorherrschen, unter welchen Umständen Athleten etwa ein so genannter Nationenwechsel möglich ist. Das hat zunächst den einfachen Grund, dass es Wege geben muss, um etwa mit doppelten Staatsbürgerschaften umzugehen. Das hat aber auch noch einen ganz anderen Grund: Dass Nationenwechsel zwar längst nicht immer ein kalkuliertes Geschäft sind, aber mittlerweile auch zu einem kalkulierten Geschäft werden können und geworden sind; womit ich zunächst gar nicht mal die genannten Beispiele aus dem deutschen Kader aufgreifen möchte.
Am nächstliegenden ist es hierbei zunächst, die Perspektive der Spieler einzunehmen. Natürlich mag man die Einstellung von Spielern wie Philipp Floritz, der allerdings kein bulgarischer Staatsbürger ist, für fragwürdig halten. Der Regionalliga-Profi wäre ohne die Förderungsmaßnahmen des DTTB heute unbestreitbar ein schlechterer Spieler – und ihn scheint mit Bulgarien auf den ersten Blick nicht sonderlich viel zu verbinden. Sein Verbandswechsel mag dementsprechend vielleicht ein seltsames Kalkül in Sachen Karriereplanung sein und könnte von einer merkwürdigen Motivation zeugen, für eine nationale Auswahl auflaufen zu wollen, aber ansonsten ist das alles legitim. Und diese Legitimation speist sich aus der Gesetzgebung des jeweiligen Landes genauso wie aus den Statuten der jeweiligen Verbände der Sportart. Als schon fragwürdiger würde ich da aber doch die Einstellung mancher der betreffenden Verbände bewerten, die sich scheinbar Spieler in ihren Reihen wünschen, die weder eine großartige Verbindung zu ihrem Land besitzen noch Fortschritt in puncto Nachhaltigkeit und eigener Spitzensportförderung versprechen.
Striktere Regeln in den Dachverbänden!
In dieser Sache tun die Verantwortlichen im Tischtennis gut daran, nicht allein auf die Vernunft der jeweiligen nationalen Sportverbände zu setzen, sondern ihre eigenen Dachverbände, den Weltverband (ITTF) sowie den europäischen Verband (ETTU), auf diese Thematik anzusetzen. Es bedarf eines klaren Reglements – und das dürfte durchaus strikter sein als das bestehende. Bisher hat lediglich die ITTF eine entsprechende Regel eingeführt: Wer nach seinem 21. Lebensjahr eingebürgert wurde, darf nicht mehr bei Weltmeisterschaften oder World Cups antreten. Wer jünger ist, muss je nach Alter eine bestimmte Sperrfrist absitzen. Im IOC, dem Internationalen Olympischen Komitee, und bei der ETTU gibt es einen solchen Passus nicht. So kam etwa der durchaus skurrile Fall auf, das Han und Shan zwar bei der EM für Deutschland starten durften, bei der WM allerdings nicht. Anders verhält es sich bei Turnieren der World Tour, für die lediglich der Wohnsitz entscheidend ist – und an den lässt sich schnell drankommen. Wobei es sich durchaus lohnen würde, darüber nachzudenken, ob es überhaupt die nationalen Verbände sein müssen, die Spieler für derartige Turniere auf die Starterlisten setzen. Warum melden nicht die Spieler selbst? Die Flagge, unter der man startet, sollte hier bestenfalls zweitrangig sein. Oder vollkommen gleichgültig. Ich habe Roger Federer zumindest schon oft als Schweizer starten sehen, aber noch nicht so oft als Abgesandten des Schweizer Tennis-Verbands.
Kommen wir noch mal zurück zu Katar. Das bietet mittlerweile auch im Tischtennis eine international durchaus gefürchtete Nummer eins auf: Li Ping, 2009 noch Mixed-Weltmeister und Nationalspieler für China, ist für das Emirat auf Position 27 der Weltrangliste notiert. Tendenz: steigend. Immerhin die Handball-WM in Katar fand noch ein halbwegs versöhnliches Ende. Katar verlor das Finale gegen Frankreich. Das hatte sieben Franzosen auf der Platte. Katar nur einen. Vielleicht lag es daran.
(Jan Lüke)
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