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Jans Blog: Aussterben oder Renaissance der Penholder?

Er führt die Weltrangliste an: Penholderspieler Xu Xin (©STIGA)

01.12.2014 - Eigentlich ist es doch komisch: Der aktuelle Weltranglistenerste ist Penholderspieler, ebenso wie vier der sieben bisherigen Olympiasieger im Herreneinzel. Warum sieht man dann aber so wenige Akteure dieser Sorte in der Weltspitze? Unser freier Redakteur Jan Lüke hätte über das Thema am liebsten ein ganzes Buch geschrieben, hat sich nun aber doch auf seinen Blog beschränkt - und sieht durchaus Chancen für ein Comeback der Penholder.

Auf den Schulhöfen quer durchs Land ist die Tischtennis-Welt noch in Ordnung. So glaube ich zumindest. ‚Chinesisch spielen‘ heißt es da, wenn die Kiddies zur Penholder-Schlägerhaltung greifen. Und ‚chinesisch‘ ist natürlich vor allem eins: gut und gefährlich. Erst recht fürs ‚Schnippeln‘. Über seinen Leumund unter Schülern und seine Street Credibility muss sich das Penholder-Spiel also keine Sorgen machen – und das wird sich auch in naher Zukunft nicht ändern. Wenn an der Steinplatte ein Achtklässler anders zum Schläger greift, wird das für Perlen von Angstschweiß auf der Stirn seines Gegenübers aus der Siebten sorgen.

 

Penholder Mangelware in der Weltspitze

 

Nun ist es um den guten Ruf der Schlägerhaltung, der mit dem japanischen Weltmeister von 1952 Hiroji Satoh nicht einmal ein Chinese zum Weltruhm verholfen hat, dieser Tage nicht mehr sonderlich gut bestellt – und das ausgerechnet dort, wo es sportlich so richtig ums Eingemachte geht: in der Weltspitze der Herren. Na gut, na gut. Die Nummer eins der Weltrangliste ist mit Xu Xin ein Penholder-Spieler, habe ich auch bemerkt. Selbst wenn Xu nicht wirklich der Beste der Welt ist, so ist er zweifelsohne einer der Besten der Welt. Trotz oder wegen seines Penholderspiels. Während noch vor zehn oder 15 Jahren die Weltspitze durchaus üppig gefüllt war mit Penholdern, muss man da jetzt schon genauer hinschauen, um welche zu finden.

 

Verwunderlich ist dabei nicht einmal, dass in Europa die Penholder-Künstler Mangelware sind. Dort gab es früher den Jugoslawen Zoran Kalinic und heute den Spanier Jesús Cantero in der erweiterten Spitze, immer aber standen die Penholder hier nicht nur quantitativ, sondern auch qualitativ in der zweiten Reihe hinter den Shakehandern. Das hat, und das meine ich im wortwörtlichsten Sinne, eben doch vor allem eines: Tradition. Denn so schlecht es um das europäische Penholderspiel bestellt war, so gut war es um das asiatische und vor allem chinesische Penholderspiel bestellt. Von Wang Hao, Ma Lin, Liu Guoliang über die Dominatoren der 80er Jahre, Jiang Jialiang und Guo Yuehua, waren viele der allergrößten Chinesen und Weltmeister der vergangenen 20, 30 Jahre keine Shakehander, wenngleich es natürlich auch die gab. Auch die letzten japanischen Weltmeister waren mit Seiji Ono und Shigeo Ito: genau, Penholder!

 

Heute sieht das ganz anders aus. Die Weltbesten sind Ma Long und Zhang Jike, zwei Shakehander, von denen Letzterer die sehr wichtigen und Ersterer die nur wichtigen Titel gewinnt. Das alleine als Indikator zu nehmen, reicht sicherlich noch nicht. Deutlicher wird es aber dann, wenn man die Breite der Chinesen und vor allem ihren Nachwuchs in der Weltspitze betrachtet. In den Top 100 der Weltrangliste gibt es zwar etliche chinesische Vertreter, aber neben Xu Xin nur noch Altmeister Wang Hao, dessen Karriere ihre besten Zeiten wohl überschritten hat, mit der Penholder-Griffhaltung. Das mag auf den ersten Blick umso mehr überraschen, wenn man nicht außer Acht lässt, dass mit Liu Guoliang ein ehemaliger Penholder die Geschicke der China-Herren zumindest als Cheftrainer leitet. Und der selbst wohl mehr Nachteile als Vorteile für seinen eigenen Stil sieht.

 

Warum ist das so?

 

Warum also die Penholder-Krise? Erste Gründe dafür findet man in jedem Tischtennis-Lehrbuch. Penholder-Spieler haben eine geringere Reichweite, vor allem eben in der Rückhand-Seite, ihre Rückhand neigt – auch in der technischen Ausführung mit einem wirklichen Rückhand-Belag, wie es der durchaus rückhandgewaltige Wang Hao und auch Xu Xin praktizieren – obendrein dazu, anfällig zu sein. Zu diesen schon immer bestehenden Gründen gegen das Penholderspiel gibt es mittlerweile einige weitere: Der Aufschlag, früher die Waffe der Penholder-Spieler mit ihren deutlich flexibleren Handgelenken, wurde durch das Regelwerk entschärft und darf nicht mehr verdeckt werden. Insgesamt hat das Aufschlagspiel zwar noch immer eine große Bedeutung in der Weltspitze, diese aber hat tendenziell in den letzten ein, zwei Jahrzehnten eher abgenommen. 

 

Demgegenüber hat das Spiel an Tempo gewonnen. Sein Tischtennis fast ausschließlich über die Vorhandseite aufzuziehen, ist in Zeiten, in denen viele der Topspieler wie Zhang Jike, Dimitrij Ovtcharov oder Fan Zhendong rückhandorientiert und gar rückhanddominiert agieren, deutlich schwieriger. Das gilt auch für europäische Spielstile, wo es ein Jean-Philippe Gatien heute schwer hätte. Das Tempo ist schlichtweg zu hoch geworden, eine schwache Seite gibt es nicht mehr – höchstens eine etwas weniger starke. Davon aber lebte der Penholderspieler klassischer Prägung: kurze Noppe, giftige Aufschläge, flinke Beine, knallharte Vorhandschüsse und -flips, gutes Spiel über dem Tisch, auf der Rückhand meistens Blocks. Mit einem solchen Spiel gegen Zhang Jike oder Ma Long zu bestehen, scheint allerdings nahezu ausgeschlossen. Wohl auch einer der Gründe dafür, dass es Xu Xin trotz bester Weltranglistenposition und zahlreicher Kantersiege gegen die europäische Spitze schwer haben wird, einen ganz großen Titel einzufahren. Denn gerade die besten Chinesen nehmen Xus Waffen, Aufschlag und Vorhand, aus dem Spiel, und nageln ihn stattdessen nach dem Spiel über dem Tisch auf der Rückhandseite fest. Eine imposante Kostprobe dessen gab Zhang Jike im Halbfinale der 2013er Weltmeisterschaft zum Besten, als er Xu in vier Sätzen dominiert.

 

Penholdergriff könnte wieder interessant werden

 

Diese Vorteile der Shakehander bzw. die Nachteile der Penholder haben dazu geführt, dass die Weltspitze und vor allem auch die asiatische Spitze weitestgehend von ihnen bereinigt ist. Und genau an diesem Punkt wird es wieder interessant. Denn mittelfristig kann genau daraus wieder ein Vorteil für Penholderspieler entstehen. Gerät ihr Spielsystem zunehmend in Vergessenheit, rutschen die Taktiken und Antworten gegen Penholderleute von der Festplatte der Topspieler. Die derzeitige Konjunkturschwäche der Schlägerhaltung könnte also bald wieder für eine antizyklische Entwicklung sorgen, wenn Trainer und Spieler dieses Potenzial erkennen. Wie gesagt: Um in allervorderster Front der Weltrangliste zu bestehen, wird es vielleicht noch nicht reichen, aber um in den Kreis der 50, 40 oder 30 besten Akteure der Welt vorzupreschen, hat das Penholderspiel gerade dann wieder Potenzial.

 

Ein Beispiel liefert der mittlerweile fast 50 Jahre alte He Zhi Wen. Der spielt genau dieses Penholderspiel der klassischen Schule – und es gibt nicht viele Spieler in der Welt, die gegen die giftigen Aufschläge und Vorhand-Peitschen des eingebürgerten Spaniers liebend gerne antreten. Ganz im Gegenteil. Was fehlt, ist vielleicht genau dieses Know-how über das Penholderspiel. Denn die Ausbildung eines Penholderspielers sollte möglichst auch von einem Trainer erfolgen, der Schlägerhaltung und dazugehöriges Spielsystem verinnerlicht hat. Ohne die genauen Einflüsse zu kennen: Es kommt wohl nicht ganz von ungefähr, dass Jesús Cantero ausgerechnet aus dem Land kommt, für das He Zhi Wen startet – und in dem ihm He Zhi Wen ein Lehrmeister hätte sein können und wohl ein ums andere Mal war. Er dürfte sich auch im restlichen Europa gerne mal nach Penholder-Talenten umgucken. Gerne auch auf deutschen Schulhöfen.

 

(Jan Lüke)

 

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