Tischtennis-'Rentner' Sebastian Schwarz berichtet von positiven Auswirkungen seines Sports (©privat)
06.01.2020 - Mit der Überschrift „Gedanken eines Tischtennisrentners“ erreichte uns der Leserbrief von Sebastian Schwarz, der mit seinen 40 Jahren jedoch noch ein sehr junger TT-Ehemaliger ist. Nichtsdestotrotz blickt er auf mehr als 30 Jahre Tischtenniskarriere zurück, in denen er lange in der 2. Bundesliga gespielt hat. Nachdem er seine TT-Laufbahn bei der TG Neuss beendet hat, fragt er sich, inwiefern Tischtennis als Wegweiser fürs Leben dienen kann.
Ein Leserbrief von Sebastian Schwarz aus Neuss
Mehr als 30 Jahre Tischtennis, fast jedes zweite Wochenende unterwegs in irgendwelchen Tischtennishallen quer durch die Republik. Die meiste Zeit mit großer Freude und Leidenschaft. All dies ist für mich nun Vergangenheit. Allenfalls für eine gelegentliche Trainingssession kann ich noch begeistert werden. Nachdem mein Körper den tischtennisspezifischen Belastungen seinen Tribut zollen musste und ich mich wegen der alltäglichen Belastungen immer mehr nach ‚freien‘ Wochenenden gesehnt habe, konnte ich nun - nach einer stufenweisen Ausgliederung - den eigentlich schon lange feststehenden Entschluss, den Schläger buchstäblich an den Nagel zu hängen, umsetzen. Und nach nunmehr fast einem Dreivierteljahr mit insgesamt nur drei TT-Einheiten muss ich sagen: Es fühlt sich gut an. Ich genieße die zusätzliche freie Zeit und bin zufrieden.
Da mich der Tischtennissport jedoch so lange Zeit intensiv begleitet hat, habe ich in den letzten Monaten - zuerst unbewusst, nach und nach dann immer bewusster - einmal auf die aktive Zeit zurückgeschaut, meine Gedanken - ohne tiefenpsychologischen Anspruch - in Form einer Ex-Post-Analyse einmal geordnet und komme zu dem Ergebnis, dass die Erfahrungen im Tischtennissport mich wahrscheinlich auch über die Grenzen des Sports hinaus geprägt haben. Über eine solche Querverbindung hatte ich zuvor noch nie nachgedacht, finde den Ansatz aber spannend genug, um weiterzudenken und zu diesem Thema etwas in die Tasten zu hauen.
Am Tisch sind alle gleich
Aber der Reihe nach. Tischtennis ist - anders als viele andere Ballsportarten - eine Kombination aus Einzel- und Mannschaftssport. Beide Komponenten sind nach meiner Auffassung gleich wichtig und wertvoll, jedenfalls wenn es um eine Übertragung auf das alltägliche Leben geht. Ich habe in den vergangenen 30 Jahren mit hunderten Spielern zusammengespielt, größtenteils völlig unterschiedliche Charaktere mit völlig unterschiedlichem gesellschaftlichen und kulturellen Hintergrund. Ich schätze, dass ich mit ca. 90 Prozent meiner Mannschaftskollegen im alltäglichen Leben wohl nie in Kontakt gekommen und - falls doch - wahrscheinlich nicht über eine oberflächliche Unterhaltung hinausgekommen wäre. Ein fataler Fehler, denn ich habe über den Tischtennissport etliche wertvolle Bekanntschaften gemacht und teilweise jahrzehntelange Freundschaften geknüpft, die ohne den Sport nicht möglich gewesen wären.
Woher kommt das? Mit dem Schläger in der Hand ist erst einmal jeder gleich, man begegnet sich automatisch auf Augenhöhe, fernab von irgendwelchen Konventionen oder irgendwelchen gesellschaftlichen Zwängen. Ich habe mir genau dieses Verhaltensmuster (zunächst unbewusst) auch abseits des Tischtennissports verordnet und glaube in der Nachbetrachtung, dass allein dieser Punkt ein großer, wertvoller Vorteil im alltäglichen Leben und im zwischenmenschlichen Umgang ist. Was wäre mir außerhalb des Sports wohl alles entgangen, wenn ich das gängige Schubladendenken beibehalten hätte? Gar nicht auszudenken.
Fokus auf den Punkt
Wenn ich nun den kollektiven Teil verlasse und mich in meiner Rückbetrachtung auf Tischtennis als Einzelsport konzentriere, sind die Ergebnisse - wie ich finde - ähnlich erstaunlich. Tischtennis als Wettkampfsport fordert jedem Sportler eine Menge ab. Neben den (auf Amateurebene) nicht ganz entscheidenden körperlichen Faktoren ist im ersten Schritt für einen erfolgreichen TT-Spieler Grundvoraussetzung, dass er sich auf den Punkt konzentrieren kann. Dies gelingt - jeder aktive Spieler weiß das - mal besser und mal schlechter, was aber nicht entscheidend ist. Ausschlaggebend ist vielmehr, dass man es über Jahre/Jahrzehnte hinweg übt, sich auf den Punkt zu konzentrieren. Damit hat der TT-Spieler in der Welt abseits des Sports schon einen großen Vorteil zu einem Großteil der anderen Mitstreiter, die in der Regel - wenn überhaupt - erst viel später überhaupt mit dieser Thematik in Berührung gekommen sind. Mir hilft diese jahrelange Übung noch heute im Rahmen meiner beruflichen Tätigkeiten und ich möchte diese Erfahrung nicht missen.
Ein weiterer wichtiger Punkt ist, dass man als TT-Spieler gezwungen ist, sich dem 1:1-Duell zu stellen, und dass man in der Lage sein muss, sich auf alle denkbaren Umstände bestmöglich einzustellen. Auch das klappt mal besser und mal schlechter. Aber auch hier heißt es: Übung macht den Meister. Wer kennt es nicht: Das ohnehin schon nicht sonderlich sympathische Gegenüber glänzt zusätzlich mit nicht wirklich regelkonformen Aufschlägen, aber der Schiedsrichter greift nicht ein oder ist vielleicht gar nicht vorhanden. In diesem Fall hilft kein Zetern und kein Schreien, sondern es bleibt nur die Möglichkeit, einen Weg zu suchen, mit den widrigen Umständen umzugehen und sich ihnen zu stellen. Genau diese Erfahrungen helfen auch in Alltag, wenn man die richtigen Schlussfolgerungen zieht.
Hunderte Anekdoten aus dem Stegreif
Auch darüber habe ich mir zuvor nie Gedanken gemacht. Im Nachhinein bin ich aber recht sicher, dass die Wettkampferfahrung dazu geführt hat, dass ich z.B. in schwierigen beruflichen Situationen oder bei privaten Konfrontationen souveräner und positiver bin, als ich es ohne den sportlichen Hintergrund sein könnte.
Wenn ich nun abschließend die Frage stelle, ob Tischtennis wirklich ein Wegweiser fürs Leben sein kann, möchte ich antworten: Vielleicht, jedenfalls können viele Erfahrungen auch neben dem Sport nützlich sein. In jedem Fall bleibt es der Sport, den ich nach wie vor liebe, über den ich so viele tolle und verrückte Menschen kennengelernt habe und der dazu geführt hat, dass ich eine abendliche Unterhaltung aus dem Stegreif mit hunderten Geschichten und Anekdoten aus dem Tischtennissport ausfüllen kann. Das ist doch - wie ich finde - schon eine ganze Menge.
In diesem Sinne: Allez tscho, lasst den Zelluloid....äh Plastikball weiter fliegen und überlegt vielleicht in einer ruhigen Stunde einmal, ob der Tischtennissport für euch nicht auch ein kleiner Wegweiser fürs Leben ist oder zumindest werden kann. Ich verfolge das Geschehen weiter, allerdings - selbst ausgewählt - nur noch als Zaungast.
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