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Schiri-Schorsch: Nachhilfestunden für WM-Starter

Bei einer WM stehen die Schiedsrichter manchmal vor ungeahnten Problemen (©Laven)

19.10.2015 - Große Turniere wie die Europameisterschaften in Jekaterinburg vor zwei Wochen hat auch unser Blogger Schiri-Schorsch schon besucht - als offizieller Schiedsrichter hinter dem Zählgerät. In seinem heutigen Blog berichtet er vom ganz normalen Wahnsinn, wenn Länder bei solchen Großevents auflaufen, in denen Tischtennis nicht die oberste Priorität hat. Von Einladungen zum Essen bis zur ehrenamtlichen Regel-Entwicklungshilfe war schon Einiges dabei.

Vor zwei Wochen gingen die Tischtennis-Europameisterschaften in Russland zu Ende. Viele interessante und hochklassige Begegnungen der besten Spielerinnen und Spieler in Europa konnten wir sehen. Bei mir kommen in diesem Zusammenhang natürlich die schönen Erinnerungen „meiner“ Welt- und Europameisterschaften hoch, die ich als Schiedsrichter begleiten durfte. Es waren persönliche Highlights, wenn man die Top-Chinesen in der Box hatte oder auch die Besten der Welt bzw. des Kontinents durch das Turnier begleiten konnte. Aber diese Spiele stellen nur einen Bruchteil aller Begegnungen während solch einer riesigen Veranstaltung dar. Über 200 Nationen traten bei der Weltmeisterschaft 2012 in Dortmund an; in der „Championship Division“ spielten aber nur die 24 besten Mannschaften um den Titel. In den weiteren Qualifikationsrunden und bei den späteren Platzierungsspielen der restlichen Nationen kam man bei Begegnungen zum Einsatz, wo Tischtennis nicht gerade die populärste Sportart des jeweiligen Landes ist. Und eins ist sicher: Das sind die wahren Herausforderungen einer WM oder EM für einen Schiedsrichter.

Mit Handzeichen, Skizzen und Dolmetschern

Bei Olympischen Spielen werden einige Athleten als Symbol der grundsätzlichen Idee gefeiert. Wer erinnert sich nicht an „Eddie the Eagle“ oder hat die Bilder im Kopf, als eine junge Schwimmerin das Ziel erreichte, als bereits das Stadionlicht gedämmt wurde, da alle anderen bereits seit längerer Zeit im Ziel waren? Wenn man beispielsweise in eine WM mit dem Mannschaftskampf Togo gegen San Marino oder Kirgisien gegen Barbados startet, spreche ich ebenfalls vom „olympischen Gedanken“.

Bei meinem ersten Einsatz kamen neben der Sprachbarriere vor allem die mangelnden Regelkenntnisse schon bei der Auslosung (Mannschaft A oder X, Trikotfarbe, Boxstandort und Ballauswahl) zum Vorschein. Es gab zwar einen Tag vorher mit allen Verbänden und dem Oberschiedsrichter eine ausführliche Einweisung zum Ablauf eines Mannschaftskampfes, aber das heißt ja noch lange nicht, dass man das auch verstanden hat. Mit Handzeichen, Skizzen und Dolmetschern schaffte man es am Ende dann doch, die Vorbereitung so abzuschließen, dass die Turnierleitung auch einen Spielbogen ausdrucken konnte. 

Nachhilfe in der Satzpause

Am Tisch dann die nächsten „Probleme“. Die eine Mannschaft wollte in der Trikotfarbe blau spielen, der erste Spieler hatte aber ein rotes Dress an; genau wie sein Gegenspieler. Erneute Gespräche offenbarten, dass man ja gar kein blaues Trikot dabei hat (liegt noch im Hotel). Mit einem der stellvertretenden Oberschiedsrichter konnte man die gegnerische Mannschaft dann dazu bewegen, ihr Trikot entsprechend zu ändern. Bis es zum ersten Ballwechsel kam, waren wir also schon hoffnungslos hinter dem Zeitplan. Zum zweiten Spiel kam ein Spieler in einer anderen Hose zum Tisch, als die, die sein Teamkollege im ersten Einzel getragen hatte. Mit Erlaubnis des Oberschiedsrichters war das dann in Ordnung. Die Begründung war schön: „Es ist ja kein Fernsehtisch.“

Die Spielstärke konnte man nüchtern betrachtet als Verbandsliga einstufen; hier aber nur die jeweiligen Spitzenspieler. Die Aufschläge waren teilweise eine mittlere Katastrophe und man nutzte manchmal eine Satzpause dazu, die Regeln zum Aufschlag etwas näher zu bringen. „Ehrenamtlicher Tischtennisregel-Entwicklungshelfer“ wäre die korrekte Bezeichnung meiner Tätigkeit bei diesem Mannschaftskampf gewesen.

Darauf können sie sich verlassen!

Im weiteren Verlauf der Veranstaltung hatte man immer wieder diese Teams am Tisch. Bei den Platzierungsspielen sind die Aktiven und Betreuer mit genauso viel Leidenschaft und Herzblut am Start wie die Profis in der Haupthalle. Aber die Dankbarkeit und Wertschätzung des Schiedsrichters ist wesentlich höher als an den Finaltischen. Von Jamaika wurde ich sogar zum Essen eingeladen (was ich natürlich ausgeschlagen habe), da ich der Schiedsrichter des ersten Siegs bei einer WM war; der Gegner war bereits abgereist und man hatte das Spiel kampflos gewonnen.

Für einen Schiedsrichter ist solch ein großes Turnier eine heftige Herausforderung, aber auch ein schönes Erlebnis. Man ist mehrere Stunden am Tag im Einsatz und steht dabei mit den unterschiedlichsten Menschen in Kontakt. Die Amateure sind eher kumpelhaft und suchen das Gespräch, während die Profis fokussiert auf die kommende Aufgabe sind. Aber eins haben alle gemeinsam: Sie erwarten, dass der Schiedsrichter den Ablauf kennt, die Richtung vorgibt und neutral die Geschehnisse am Tisch bewertet. Und darauf können sie sich auch verlassen!

Viele Grüße vom Zählgerät! 
Euer Schiri-Schorsch

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