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Leserbrief: Der Sprung ins Profigeschäft eine echte Option?

Wann macht eine Profikarriere im Tischtennis Sinn? Damit beschäftigt sich Sebastian Schwarz in seinem Leserbrief (©privat)

19.10.2020 - Mehr als 30 Jahre war Sebastian Schwarz als Tischtennisspieler aktiv, schlug u. a. lange in der 2. Bundesliga auf. Mittlerweile hat der 41-Jährige seinen Schläger an den Nagel gehängt, verfolgt das Geschehen aber nach wie vor. Schon in früheren Leserbriefen in diesem Jahr hat er sich zu spannenden Themen geäußert, diesmal geht er der Frage nach: Ab wann macht es für junge Spieler Sinn, eine Profikarriere einzuschlagen?

Ein Leserbrief von Sebastian Schwarz aus Neuss

In meiner Stellung als TT-Rentner habe ich mir in den vergangenen Monaten bereits einige Male Gedanken zu diversen Themen rund um den Tischtennissport gemacht. Als ich nun die Berichte rund um das Düsseldorf Masters las und anschließend auch das eine oder andere Mal den 'jungen Wilden' zugeschaut habe, kam eine Fragestellung wieder auf, mit der ich mich das letzte Mal in jugendlichem Alter beschäftigt habe. Es geht darum, ob es eine gute Idee ist, bereits in jungen Jahren den weiteren Werdegang in Richtung Profisport zu lenken, um im besten Fall den Lebensunterhalt mit dem Tischtennissport bestreiten zu können. Ist der geplante Sprung ins Profigeschäft also eine wirkliche Option oder ein von Anfang an zum Scheitern verurteiltes Himmelfahrtskommando?

Welche Voraussetzungen müssen erfüllt sein?
Pauschal lässt sich diese Frage sicherlich nicht beantworten. Für eine differenzierte Beantwortung muss zunächst ein Blick auf die Begleitumstände gelegt werden, die zwingend vorliegen müssen, damit der Weg in den Profisport überhaupt funktionieren kann. Was braucht man also als Rüstzeug, um überhaupt mit dieser Idee spielen bzw. den Weg ernsthaft einschlagen zu können?

Im ersten Schritt benötigt man das entsprechende 'Händchen', also eine Eigenschaft, die einen bereits von geschätzt mindestens 90 % der anderen Spieler signifikant abhebt. Daneben muss man – und auch dieser Punkt ist nur begrenzt erlernbar – ein Spiel lesen und antizipieren können.

Wenn diese Voraussetzungen erfüllt sind, benötigt ein junger Spieler darüber hinaus einen unbändigen Ehrgeiz und die Fähigkeit, sich täglich im Training zu quälen. Und das über Jahre bzw. Jahrzehnte. Diese täglichen Strapazen muss ein Körper 'aushalten', d. h. die körperliche Grundkonstitution sollte stimmen. 

Background von großer Bedeutung
Außerdem bin der festen Überzeugung, dass der Plan nur dann aufgehen kann, wenn der Spieler bzw. die Spielerin zusätzlich über den notwendigen Background verfügt. Zum einen muss die familiäre Unterstützung einschränkungslos gewährleistet sein und zum anderen muss ein versierter Trainer immer präsent sein, um jeden einzelnen kleinen Schritt des Spielers zu begleiten. 

Aber damit noch nicht genug. Neben den vorgenannten Voraussetzungen muss als mitentscheidendes Merkmal die notwendige mentale Stärke gegeben sein, um das Leben eines Sportprofis erfolgreich gestalten zu können. Dies betrifft sowohl die mentale Stärke im Wettkampf, die nach meiner Auffassung auch nur begrenzt erlernbar ist (zu diesem Thema habe ich einen weiteren Beitrag mit der Überschrift „Gibt es geborene Gewinner und Verlierer?“ verfasst), als auch die mentale Stärke in allen anderen Bereichen (Durchhaltevermögen insgesamt, Konzentrationsfähigkeit und Fokussierung allgemein etc.).

Ich möchte nun einmal fiktiv unterstellen, dass all diese Voraussetzungen kumulativ erfüllt sind. Wäre dies dann ein Garant für den Erfolg verbunden mit der klaren Empfehlung, den Sprung ohne Wenn und Aber zu riskieren, ggf. sogar auf eine klassische (Schul-)Ausbildung zu verzichten und damit alles auf eine Karte zu setzen?

Langwieriger und langjähriger Prozess
Mitnichten. Der Sprung ins Profigeschäft und vor allem die Etablierung dort ist ein langwieriger und oft langjähriger Prozess, der – auch wenn alle Voraussetzungen für einen Erfolg grundsätzlich vorliegen – mit vielen Gefahren verbunden ist. Halten Körper und Geist den kontinuierlichen Belastungen stand? 

Ein entscheidender Punkt kommt noch hinzu. Auch wenn alles gut geht und man erfolgreich ist: Reicht die Zeit der Profikarriere (im Mittel geschätzt 15 Jahre) aus, um sein Leben auch bezogen auf die Zeit danach finanziell auf eine solide Basis zu stellen? Auch dies ist zu Beginn nicht vorherzusagen. Insgesamt gibt es also eine ellenlange Reihe an Unwägbarkeiten, so dass allein aus rationalen Erwägungen heraus eigentlich niemandem der unbedingte Rat gegeben werden kann, es mit einer Profikarriere zu versuchen. 

Aber auch dies ist wieder nur die halbe Wahrheit. Auch im Rahmen eines normalen beruflichen Werdeganges ist niemandem der Erfolg sicher. Und – was auf Dauer noch viel schwerer wiegt – vielleicht übt man anstelle der Sportlerkarriere später einen Beruf aus, der einem nicht die Erfüllung gibt und hadert mit seinem Schcksal bzw. stellt sich die Frage, ob man es nicht wenigstens mit einer Profikarriere hätte versuchen sollen. 

Ich glaube das ist der entscheidende Punkt. Denn wie immer im Leben sollte man die Ziele verfolgen, für die man am meisten brennt. Die amerikanische Jazz-Pianistin Ella Fitzgerald hat einmal Folgendes gesagt: "Gib niemals auf zu versuchen, das zu tun, was du wirklich willst. Wo immer Liebe und Inspirationzu finden sind, kannst dumeines Erachtens nicht falsch liegen.“"

Vager Plan B oder zumindest solide Schulausbildung
Wenn also jemand alle Voraussetzungen mitbringt, die einen Erfolg im Profilager zumindest möglich erscheinen lassen, so sollte man nicht übervorsichtig vor diesem Weg abraten. Dennoch sollte mehr als ein vager Plan B in der Schublage liegen, der dann greifen kann, wenn es doch nicht klappt.  Zumindest eine solide Schulausbildung sollte vorliegen, bevor das professionelle Sportlerleben beginnt. 

Ich habe in den Jahren meiner aktiven Zeit etliche Spieler kennengelernt, die den Sprung versucht haben und gescheitert sind. Nicht einmal eine Hand voll Spieler meines Jahrgangs haben es, objektiv betrachtet, geschafft, eine erfolgreiche Profikarriere hinzulegen.

Vorsicht ist also geboten. Dennoch wünsche ich mir und unserem Sport, dass die Nachwuchstalente den Sprung wagen und es auch schaffen, in die großen Fußstapfen der letzten deutschen Generation(en) zu treten.


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