Ex-Zweitligaspieler Sebastian Schwarz konnte einige Persönlichkeitsveränderungen am Tisch beobachten (©privat)
17.02.2020 - Vor einem Monat hat uns ‚Tischtennisrentner‘ Sebastian Schwarz bereits einen Leserbrief über die positiven Auswirkungen seines Sports für sein sonstiges Leben geschickt. Inzwischen hat ihn das Schreibfieber gepackt, denn hier kommt bereits der nächste Beitrag. Und der dreht sich wieder um ein sehr spannendes Thema: die zwei Gesichter von Tischtennisspielern, mit denen sicherlich jeder schon einmal Bekanntschaft gemacht hat.
Ein Leserbrief von Sebastian Schwarz aus Neuss
In meinem letzten Beitrag habe ich mich in meiner neuen Funktion als ‚TT-Rentner‘ mit der Frage beschäftigt, ob der Tischtennissport als Wegweiser fürs Leben dienen kann bzw. welche nützlichen Erkenntnisse man sonst aus dem Tischtennissport ziehen kann. Ich hoffe, dass einige von euch diesen bewusst pathetisch formulierten Denkansatz noch weiter gedacht und - jeder für sich - mit weiterem Leben gefüllt haben. Ich habe beschlossen, dieses Thema ruhen zu lassen und mich stattdessen mit Phänomenen zu beschäftigen, die mir während meiner aktiven Zeit immer wieder aufgefallen sind, mir aber bisher die Zeit und vielleicht auch der richtige Blickwinkel fehlte, um die Gedanken bezogen auf diese Phänomene zu ordnen und meine eigenen, nicht zwingend richtigen Schlussfolgerungen zu ziehen.
Multiple Persönlichkeiten?
Beginnen möchte ich mit einer Thematik, die sicherlich den meisten aktiven Spielern sehr bekannt vorkommen wird und sich mit dem Verhalten ‚am Tisch‘ beschäftigt. Insoweit möchte ich eine provokante Frage voranstellen: Ist der Tischtennissport ein Sammelbecken für multiple Persönlichkeiten? Allseits bekannt ist, dass Tischtennis zu einem nicht unerheblichen Teil von Emotionen lebt. Das ist im Grundsatz richtig und wichtig, solange die emotionalen Ausbrüche in gesunden Bahnen verlaufen. Allerdings verändern einige Spieler ihre Persönlichkeit am Tisch in einem für meine Begriffe nicht mehr gesundem Maße. Ich glaube, dass ich auf breite Zustimmung stoße, wenn ich behaupte, dass es in jedem TT-Kreis mindestens eine Hand voll Spieler gibt, die jeder kennt, die regelmäßig beim Spiel ausrasten und sich gegenüber Zuschauern, Gegnern und ggf. Schiedsrichtern immer wieder in allen denkbaren Variationen daneben benehmen. Dies war - egal in welchem Kreis/Bezirk ich spielte - immer gleich.
Dies ist bezogen auf einen Teil dieser Spieler, die gerne als ‚Psychos‘ bezeichnet werden, nicht wirklich verwunderlich, weil sich diese Spieler auch außerhalb des Tisches nicht zu benehmen wissen und von denen man ohnehin kein anderes Verhalten erwartet bzw. erwarten kann. Spannend - und dies ist der Kern des heutigen Themas - wird es erst in den Fällen, wenn Spieler am Tisch ihre Persönlichkeit grundsätzlich verändern. Hierzu kann ich gleich von mehreren Beispielen berichten, die ich persönlich erlebt habe und die mich unheimlich erstaunt haben.
Purer Wahnsinn in den Augen
Besonders zwei Sachverhalte sind mir besonders in Erinnerung geblieben, bei denen ich die Tischtennisspieler außerhalb des Sports in privatem Umfeld kennengelernt habe, ohne diese Spieler zuvor jemals am Tisch erlebt zu haben. In beiden Fällen handelt es sich um privat unglaublich ausgeglichene und entspannte Leute mit vernünftigen Ansichten und guten Umgangsformen, kurzum: richtig nette und anständige Typen, mit denen man gerne seine Zeit verbringt. Einige Zeit, nachdem ich diese ‚Typen‘ kennengelernt hatte, wurde ich in Gesprächen mit anderen TT-Spielern immer wieder Zeuge von Aussagen wie: „Kennst du den Spieler XY? Wenn der spielt, ist Stress vorprogrammiert!“. So oder so ähnlich wurde fast flächendeckend über eben jene Spieler gesprochen bzw. berichtet. Ich habe immer nur erwidert, dass ich mir das beim besten Willen nicht vorstellen kann.
Das änderte sich schlagartig, als ich die besagten Spieler einige Zeit später am Tisch in Aktion erleben durfte (musste). Von der privaten Ausgeglichenheit und den angenehmen Umgangsformen keine Spur mehr. Im Gegenteil sah ich nur den ‚puren Wahnsinn‘ in den Augen. Das Ganze erinnerte eher an ein Kriegsschau- als an ein Tischtennisspiel. Dieses Bild hat sich bei mir regelrecht eingebrannt, weil ich einen solch krassen Persönlichkeitswechsel nicht für möglich gehalten habe.
Übersteigerter Ehrgeiz, limitierte Mittel
Nun habe ich mir die Frage gestellt, woher dieses Phänomen kommt und ob man zu diesem Verhaltensmuster vielleicht sogar allgemeine Grundsätze aufstellen kann. Ich möchte auf Grundlage meiner persönlichen Erfahrungen in 30 Jahren Tischtennissport die sicherlich streitbare These aufstellen, dass ein inakzeptables Verhalten am Tisch überproportional oft bei Spielern vorkommt, die zusätzlich zu einem übersteigerten Ehrgeiz in ihren spielerischen Mitteln limitiert sind. Diese Defizite führen dann - aufgestaut - zu unkontrollierten emotionalen Ausbrüchen, die rein gar nichts mehr mit dem privaten Auftreten der Betroffenen zu tun haben. Diese These ist weder empirisch belegt (belegbar) noch psychologisch bestätigt, sondern spiegelt allein meine Erfahrungen und Wahrnehmungen wider. Was meint ihr? Habt ihr ähnliche Erfahrungen gemacht und - falls ja - zu welchen Schlussfolgerungen kommt ihr?
Um zu meiner Eingangsfrage zurückzukommen, ob der Tischtennissport vor dem Hintergrund der vorgenannten Erfahrungen und Beispielen ein Sammelbecken für multiple Persönlichkeiten ist: Nein, mit Sicherheit nicht. Allerdings gibt es in Einzelfällen „am Tisch“ sicherlich zeitweilige signifikante Persönlichkeitsveränderungen, die einen genaueren Blick in diese Richtung rechtfertigen und interessant machen.
Emotionen gehören dazu
Abschließend bleibe ich bei meiner Aussage, dass der Tischtennissport nicht zuletzt von seinen Emotionen lebt und dies unbedingt so bleiben soll und muss. Allzu verbissen sollten wir Amateursportler das jedoch nicht sehen und nie vergessen, dass wir ‚nur‘ ein Spiel spielen, in dem wir manchmal Sieger und manchmal Verlierer sind. Bei einem Spiel sollte immer der spielerische Charakter und damit der Spaß im Vordergrund stehen. Diese Grundeinstellung hat es mir in den letzten Jahren meiner aktiven Zeit deutlich leichter gemacht und den doch so wesentlichen ‚Spaßfaktor‘ erheblich gesteigert. So habe ich außerdem gelernt, mich über Siege mehr zu freuen als über Niederlagen zu ärgern (trotzdem habe ich natürlich versucht, aus Niederlagen zu lernen).
Sich ein solches Mindset anzueignen, kann ich nur empfehlen, im Übrigen - und so schließt sich der Kreis zu meinem ersten Beitrag - auch über den Tischtennissport hinaus. Zu einem ehemaligen Mannschaftskollegen, der nach Niederlagen regelmäßig wahnsinnig traurig und völlig am Boden zerstört war, habe ich immer gesagt: „Egal was am Wochenende am Tisch passiert, am Montagmorgen geht es immer wieder bei 0:0 los!“ In diesem Sinne wünsche ich allen eine entspannte und erfolgreiche Rückrunde.
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