Ingo Hansens als Jugendtrainer in Aktion (©privat)
16.09.2019 - Kinder und Jugendliche in die Geheimnisse des Tischtennissports einzuführen, sollte eigentlich Spaß machen. Es gibt aber ein paar Entwicklungen, die einem die tägliche Arbeit mit dem Nachwuchs vermiesen können. Ingo Hansens, der auf myTischtennis.de auch für den Bereich Jugendtraining verantwortlich ist, macht sich in seinem Blog einmal Luft, was ihn am Verhalten der Kinder und Jugendlichen stört.
Hallo Tischtennisfreunde,
mein Name ist Ingo Hansens, ich bin 48 Jahre alt und seit zehn Jahren hauptberuflicher Tischtennistrainer. Mit meiner B-Lizenz arbeite ich täglich mit Gruppen verschiedensten Alters zusammen. Ein Schwerpunkt meiner Arbeit liegt aber auch ganz klar im Kinder- und Jugendbereich (zu Ingos letztem Jugendtrainertipp auf myTischtennis.de). Und hier konnte ich in den vergangenen Jahren einige Entwicklungen beobachten, die ich als hochproblematisch einstufe. Ich möchte euch hier mal eine Übersicht dazu geben und gleichzeitig die Prognose wagen, dass es in Zukunft noch schwerer werden wird, den Tischtennissport insbesondere für Kinder attraktiv zu gestalten.
Vorab: Ich möchte nicht ALLE Kinder/Jugendliche und teilweise auch Erwachsene in einen Topf stecken; aber leider betrifft dieser Artikel die Mehrheit.
Koordinatorische Defizite
Ein Problemfeld, das sofort ins Auge fällt, ist die Koordination. Kinder haben mehr und mehr koordinatorische Defizite – und das fällt mir besonders im Grundschulalter auf. Ein einfaches Beispiel ist, dass es den Kindern zum größten Teil sehr schwer fällt, einen Tischtennisball zu fangen. Egal ob mit einer oder zwei Händen. Dazu kommt, dass sich viele nur wenig bis gar nicht auf das konzentrieren können, was sie gerade machen. Eine Übung konzentriert durchzuspielen, ist teilweise unmöglich. Es wird dann mehr geredet als gespielt. Schon das ZUHÖREN, wenn eine Übung erklärt wird, bereitet große Probleme. Wenn es an den Tisch geht, wissen 40% aller Spieler nicht mehr den vorgegebenen Ballweg.
Respektlos
Zu der mangelnden Konzentration gesellt sich die mangelnde Motivation. Man sieht es den Spielern/-innen förmlich an, ob sie Lust haben oder nicht. Diese Trägheit zieht sich manchmal durch das komplette Training: Da wird nicht gelaufen, die Bewegung bleibt aus. Mir fehlt da bei vielen einfach der Spirit. Es sieht so aus, als gäbe es keinen Grund, sich nach dem Ball zu bewegen. Aber keine Sorge: Ausreden gibt es dazu natürlich viele. Dass die Kinder nicht laufen wollen oder können, spiegelt sich auch anders wider. Mehrmals habe ich schon erlebt, dass Kinder zum Training kommen und nicht laufen dürfen, weil sie sich z.B. im Sportunterricht verletzt haben. Aussage: „Ich habe mir beim Sportunterricht den Fuß geprellt und darf nicht laufen.“ Da frage ich mich, was die Kinder dann beim Training wollen? Oder auch anders gesagt: Das Kind wird sich nicht mehr oder weniger bewegen als sonst. Ich finde sowas auch respektlos von den Eltern, dem Trainer und auch dem Tischtennissport als solchem gegenüber. Mir wird dadurch signalisiert, dass sich beim Tischtennis ohnehin nicht bewegt wird.
Vielleicht gibt es ja aber auch einen ganz einfachen Grund, warum diese Kinder trotzdem zum Training kommen: Tatsächlich kommt es immer häufiger vor, dass Eltern ihre Kinder zur Verwahrung abgeben. Da man die Eltern so gut wie nie oder nur selten sieht, ist es fast unmöglich, ihnen in einem Gespräch mitzuteilen, wie sich das Kind während des Trainings verhält bzw. dass es sich meiner Einschätzung nach lieber einem anderen Sport widmen sollte.
Lieber Handy als Sport
Eine weitere Unart, die immer weiter um sich greift, ist, dass die Mehrheit der Spieler/innen mehr am Handy als am Tisch hängen. Ich würde mal sagen, bei jeder Pause wird erstmal auf das Handy geschaut, Nachrichten gecheckt oder Farmtiere gefüttert. Das beeinträchtigt natürlich auch die Konzentration. Und wer es noch cleverer anstellt, hat jetzt eine Uhr, auf der man alle Nachrichten kontrollieren kann. Der eine oder andere legt sein Handy auch auf den Tisch, also neben das Netz - um immer informiert zu sein. Fordere ich denjenigen dazu auf, das Handy wegzulegen, erhalte ich als Antwort, dass der Spieler auf eine wichtige Nachricht wartet. Aber fairerweise muss man sagen: Die Erwachsenen und Trainer machen es natürlich auch vor. Hier geht lange nicht jeder als gutes Vorbild voran.
Während die Kinder jede Kleinigkeit an ihrem Smartphone kennen und auf diesem Gebiet kleine Technikexperten sind, haben sie – aber auch Erwachsene – von der Beschaffenheit ihres Tischtennismaterials keine Ahnung mehr. Dazu zählt zum Beispiel, ob meine Beläge noch ok sind, ob sie noch fest genug drauf sind oder ob das Kantenband durch die Gegend flattert. Aber auch, wo ich meine Spieltermine, Mannschaft und meine persönliche Bilanz finde.
Hose mit Taschen macht Sinn
Wo wir gerade beim Thema Equipment sind: Auch die Kleidung lässt oft zu wünschen übrig. Unerlässlich ist beim Tischtennis eine Hose, kurz und lang, mit Taschen. Warum? Weil man die Tischtennisbälle darin verstauen kann. Leider ist das vielen Kindern/Jugendlichen nicht bewusst. Sich ohne Taschen an den Hosen andauernd nach Bällen bücken zu müssen, stört naturgemäß den Ablauf. Häufig kommt es aber auch vor, dass nur mit langer Hose gespielt wird. Ausnahme: Es sind 40 Grad in der Halle. Ansonsten kommt auf die Frage, warum der Spieler denn mit der langen Hose spiele, oft die Antwort, dass man sonst nicht warm werde. Mir zeigt das, dass der Spieler/die Spielerin sich nicht genug bewegt und Einsatz zeigt. Bei Mädchen und Frauen stören mich auch diese Radlerhosen oder Leggings. Das ist keine passende Tischtenniskleidung. Es gehört für mich dazu, dass man sich auch beim Thema Textilien mit unserem Sport beschäftigt. Schaut man mal bei den verschiedenen Tischtennishändlern vorbei, wird man sicherlich keine Leggings finden – und jede kurze Tischtennishose verfügt über Taschen.
Bleibt noch das letzte lästige Thema, von dem sicherlich auch viele andere Trainer ein Liedlein singen können: der Auf- und Abbau. Beginn des Trainings ist z.B. um 19.00 Uhr. Als typisches Phänomen kann ich beobachten, dass immer die gleichen Spieler/innen etwas später kommen. Clever! So ist fast schon immer alles aufgebaut. Oder man drückt sich vor dem Aufwärmen. Ganz geschickt ist es auch, einen Tisch aufzubauen, aber dazu kein Netz. Das sollte doch jedem cleveren Menschen auffallen, dass dies so nicht laufen kann.
Richtige Energiefresser
Diese Aufzählung an Problemen, die ich im Training beobachte, ist sicher nicht vollständig. Ich bin gespannt, ob es andere Trainer gibt, die die Liste noch ergänzen können. Ich persönlich versuche beim Training immer, das Maximum aus den Spielern/innen herauszuholen. Leider sind die oben genannten Punkte richtige „Energiefresser“. Ich persönlich habe die entsprechenden Konsequenzen aus meiner langjährigen Erfahrung gezogen und konzentriere mich auf die Spieler/innen, die sich richtig pushen und sich entsprechend an der Platte und in der Halle präsentieren.
Ich wünsche mir, dass sich Kinder, Jugendliche, Erwachsene und Trainer wieder auf das Wesentliche konzentrieren und sich mehr mit unserer Sportart identifizieren. Aber auch Lehrer und Eltern sind dringend angehalten, schon im jungen Alter etwas dafür zu tun, dass dem Sport wieder mehr Aufmerksamkeit geschenkt wird. Ich bin mir auch sicher, dass die Probleme in anderen Sportarten nicht anders sind. Es sind gesellschaftliche Veränderungen, die sich eben auch auf die Bedingungen im Sportverein auswirken. Doch das heißt nicht, dass wir dagegen nicht ankämpfen sollten. Sonst verlieren nicht nur die Trainer, sondern auch die motivierten Kinder irgendwann den Spaß an der Sache.
(Ingo Hansens)
Der Autor
Ingo Hansens ist hauptberuflicher Tischtennistrainer und Inhaber der Kindertrainer- und B-Lizenz. Aktuell ist er als Honorartrainer beim Hessischen Tischtennisverband tätig und gehört zum Trainerteam der andro Tischtennisschule in Düsseldorf sowie von Rapid Luzern. Der Westerwälder bietet Training und Lehrgänge für Gruppen und Einzelpersonen aller Leistungsstufen an. Im myTischtennis.de-Trainingsbereich übernimmt er die Basictipps und gibt Ratschläge für das Training mit Kindern und Jugendlichen. Alle Infos und Angebote finden Sie auf seiner Webseite und seiner Facebookseite.
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