Regelecke

Keine Regellücke! Offizielle Antwort auf unklare Regelfrage

Ressortleiter Markus Baisch, hier im Einsatz bei der Jugend-EM 2009, sorgt für Klarheit (©Roscher)

15.03.2018 - Wir sind Ihnen noch eine Antwort schuldig. Vor wenigen Wochen hatte eine unserer Regeleckenfragen die Gemüter erhitzt, da bei der Beantwortung auch absolute Experten auf dem Gebiet unterschiedlicher Auffassung waren. Für beide Seiten gab es gute Argumente, aber nur eine darf natürlich Recht behalten. Wir haben die oberste nationale Stelle, das DTTB-Ressort Schiedsrichter, um eine offizielle Klärung gebeten, die wir Ihnen heute präsentieren wollen.

Folgende Frage war vor wenigen Wochen Stein des Anstoßes:

Der Ball von Spieler A hat gerade die Grundlinie Richtung Aus überquert, als Spieler B aus Versehen den Tisch verrutscht. Was passiert?
a) Spieler B bekommt den Punkt.
b) Spieler A bekommt den Punkt.
c) Wiederholung.

Unser Regelexperte Lars Czichun, ein internationaler Schiedsrichter ‚Blue Badge‘, plädierte für Antwort b) und argumentierte, dass der Ball nach Überqueren der Grundlinie noch im Spiel sei (eine ausführlichere Erklärung finden Sie hier). Diese Ansicht teilten viele seiner Kollegen, andere Experten stellten sich jedoch dagegen. Da eine unterschiedliche Auslegung der Regeln in der Praxis nicht Sinn der Sache ist, baten wir das DTTB-Ressort Schiedsrichter eine offizielle Entscheidung zu fällen. Ressortleiter Markus Baisch schickte uns eine ausführliche Erklärung, die wir Ihnen hier komplett präsentieren möchten:

Wann ein Spieler einen Punkt erzielt, ist in ITTR A 10 geregelt. Voraussetzung ist zunächst, dass es nicht zu einer Wiederholung kommt. Unter dieser Voraussetzung erzielt ein Spieler u. a. dann einen Punkt, wenn
- der Ball sein Spielfeld oder seine Grundlinie passiert, ohne sein Spielfeld zu berühren, nachdem er von seinem Gegner geschlagen wurde (ITTR A 10.1.4), oder
- sein Gegner oder etwas, das dieser an sich oder bei sich trägt, die Spielfläche bewegt (ITTR A 10.1.9).

Die Fälle der Wiederholung sind in ITTR A 9 abschließend geregelt. Ein Vorliegen eines solchen Falles ist hier jedoch nicht indiziert.

Auf den ersten Blick würden hier beide Spieler einen Punkt erzielen. Spieler B wegen Ziffer 10.1.4 und Spieler A wegen Ziffer 10.1.9. Dass dies nicht der Fall sein kann, leuchtet ein.

Der Regelexperte von myTischtennis.de hat nun ITTR A 5.2 angeführt. Danach gilt, dass der Ball im Spiel ist vom letzten Moment an, in dem er – bevor er absichtlich zum Aufschlag hochgeworfen wird – auf dem Handteller der freien Hand ruht, bis der Ballwechsel als Let (Wiederholung) oder als Punkt entschieden wird. Diese Vorschrift verknüpft er offensichtlich mit ITTR B 3.2.3.6, wonach es in der Verantwortung des Schiedsrichters liegt, jeden Ballwechsel entweder als Punkt oder Let (Wiederholung) zu entscheiden. Hieraus leitet er ab, dass der Ballwechsel erst mit der Entscheidung des Schiedsrichters beendet ist.

Bei ITTR A 5.2 handelt es sich allerdings um die Definition des Ausdruckes „im Spiel“ (engl. „in play“). Die Vorschrift dient insoweit also nur der Erklärung, was gemeint ist, wenn an anderer Stelle die Rede davon ist, dass der Ball „im Spiel“ ist (vgl. ITTR A 5.1, 5.7, 5.8, A 10.1.14.3, A 15.3). Auf diesen Umstand kommt es jedoch bei den Fällen der ITTR A 10 nicht an. Insofern ist die Frage, wie lange der Ball im Spiel ist, nicht entscheidend. Vielmehr ist entscheidend, dass ein Ereignis eintritt, welches nach ITTR A 10 zu einem Punktgewinn führt.

In dem Moment, in dem der Ball die Spielfläche überquert hat, ohne diese zu berühren, erzielt Spieler B nach ITTR A 10.1.4 einen Punkt. Was danach passiert, ist irrelevant.

Die sehr theoretische Möglichkeit eines Balles mit starker Rotation, welcher sich wieder entgegen der Schlagrichtung bewegt, kann hier vernachlässigt werden, da es keine Anhaltspunkte hierfür gibt. Im Übrigen sei der Hinweis erlaubt, dass ein zu weit geratener Ballonabwehrball ohnehin hierfür nicht geeignet ist, da sich dieser Ball ja vorwärts dreht. Einzig die bei Rollstuhlfahrern beliebten hohen Bälle mit extremem Unterschnitt kämen hierfür in Frage, werden von diesen allerdings kurz – möglichst direkt hinters Netz – gespielt. In der Praxis dürfte der Fall also äußert selten eintreten.

Sollte sich ein solcher Ball tatsächlich nach Überqueren der Grundlinie wieder in Richtung des Netzes bewegen, Spieler B aber den Tisch verschoben haben, müsste der Schiedsrichter die Tatsachenentscheidung treffen, ob der Ball ohne das Verschieben des Tisches noch auf den Tisch gefallen wäre, und dann davon abhängig entweder auf Punkt für A (ITTR A 10.1.9) oder auf Let entscheiden, da Spieler A aufgrund einer Störung, die außerhalb seiner Kontrolle liegt, nicht auf- oder zurückschlagen oder sonst wie eine Regel nicht einhalten kann (ITTR A 9.1.3).

Wir halten also fest: Im Normalfall geht der Punkt an Spieler B, bei starker Rückwärtsrotation muss, wie im letzten Absatz beschrieben, abgewogen werden. Wir bedanken uns herzlich bei Herrn Baisch für die Klarstellung. Ein Wort zu den von uns angesprochenen Showballwechseln, bei denen Spieler die Seiten wechseln, hätten wir uns noch gewünscht, aber auch diese sind ja eher die Ausnahme. Eines ist auf jeden Fall sicher: Wenn man sich mit solchen Fällen beschäftigt, lernt man eine Menge über Tischtennis und seine Regeln. Wir freuen uns auf die nächsten heiklen Fragen in der Regelecke!

(JS)

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