Omar Assar offenbarte kürzlich, dass er unter Depressionen leidet (©Fabig)
08.12.2018 - Petrissa Solja, Liam Pitchford, Omar Assar - die Fälle von Tischtennisspielern, die mit mentalen Problemen zu kämpfen haben oder hatten und dies auch öffentlich äußern, häufen sich in letzter Zeit. Sind Leistungssportler oder gar Tischtennisspieler eine Risikogruppe oder ist es nur salonfähiger geworden, darüber zu sprechen? Die Diplom-Psychologin Marion Sulprizio liefert uns eine Einordnung und gibt Ratschläge zum Umgang mit mental angeschlagenen Spielern.
Leistungssportler haben ihr Hobby zum Beruf gemacht und tun tagtäglich, was sie lieben. Zudem sagt man gemeinhin, dass Sport einem dabei hilft, den Kopf freizubekommen, und Depressionen sogar vorbeugen kann. Wieso sollten also ausgerechnet Leistungssportler mentale Probleme bekommen? Diese Meinung herrschte lange Zeit in den Köpfen vieler Menschen vor, wurde aber spätestens nach dem depressionsbedingten Selbstmord des Fußballers Robert Enke revidiert. „Die Studienlage besagt, dass Leistungssportler bezüglich mentaler Probleme dieselbe Prävalenz wie der Rest der Bevölkerung haben“, erklärt Marion Sulprizio. „Das bedeutet, dass Depressionen im Leistungssport genau so häufig vorkommen wie sonst auch.“ Die Diplom-Psychologin ist als Geschäftsführerin der Initiative ‚MentalGestärkt‘ eine Expertin für Leistungssportler mit mentalen Problemen und bietet sowohl präventive Maßnahmen als auch die Vermittlung ortsnaher Hilfe an. „Das Bild des starken Sportlers und der starken Sportlerin wurde lange Zeit vermittelt. Aber die situativen Bedingungen im Leistungssport können eben auch zu mentalen Problemen oder Depressionen führen.“
„Mit dem Gedanken gespielt, aufzuhören“
Dass dies auch im Tischtennissport der Fall ist, offenbarte zum Beispiel der englische Spieler Liam Pitchford, der im Sommer offen über seine überwundene Depression sprach. „Ich fühlte mich beim Training nicht wohl, hatte wenig Selbstwertgefühl und spielte mit dem Gedanken, aufzuhören“, erklärte er gegenüber der ITTF. Auch Borussia Düsseldorfs Neuzugang Omar Assar ging vor wenigen Wochen über seinen Verein an die Öffentlichkeit, um zu erklären, dass sich sein Leistungstief auf eine Depression gründet. In einer Hochphase im Sommer hatte sich der Ägypter noch gut gefühlt, fiel dann aber wegen Knieproblemen in ein Loch. Und auch im deutschen Lager musste man längere Zeit auf eine Spielerin verzichten, da diese neben einer hartnäckigen Armverletzung auch mit mentalen Problemen zu kämpfen hatte. So erklärte Petrissa Solja im November 2017, dass sie sich körperlich und mental erschöpft fühle und eine Trainings- und Wettkampfpause brauche. DTTB-Sportdirektor Richard Prause erklärte dies unter anderem mit den hohen Belastungen im Rahmen der Olympischen Spiele in Rio und der Heim-WM in Düsseldorf, in deren Folge sich „ein Gefühl des Überspieltseins eingestellt hat.“
Ein voller Turnierkalender, die ständige Bewertung der eigenen Kompetenzen durch sich selbst, seine Trainer und die Presse, der Umgang mit möglichen Verletzungen sowie die vielen Herausforderungen, bei denen man im Dienste einer Mannschaft oder sogar der eigenen Nation steht - kein Wunder, wenn dieser Druck so manchem Sportler über den Kopf wächst. „Wie man damit umgeht, hängt allerdings ganz entscheidend von der Vulnerabilität des Sportlers ab, also wie empfindlich oder mental stark jemand ist“, betont Sulprizio. „Bei empfindlicheren Sportlern können die Bedingungen im Leistungsbereich auch zu psychischen Erkrankungen führen.“ Doch wie bemerkt man als Trainer oder auch als Teamkamerad, dass ein Spieler ein ernstes mentales Problem hat? Laut Sulprizio sollten vor allem zwei Symptome stutzig machen: wenn bei dem Spieler ein Energieverlust zu beobachten ist, dieser sich also öfter schlapp fühlt und nicht mehr die nötige Power aufbringen kann, und wenn Gedanken der Traurigkeit und Niedergeschlagenheit vorherrschen. Bemerkt man diese Anzeichen an sich selbst oder einem anderen, muss dies allerdings noch nicht gleich heißen, dass eine Depression vorliegt. „Es kann sich auch um eine depressive Verstimmung handeln, die oft nur kurz anhaltend ist“, erklärt Sulprizio. „Oft ist irgendetwas im privaten Bereich passiert, das einen belastet, und gleichzeitig steht ein wichtiger Wettkampf an. Das Wohlbefinden ist in solchen Fällen dann nicht optimal, aber sobald die Belastung vorbei ist, pendelt sich alles wieder ein.“
Nicht zurückhalten!
Die Möglichkeit, dass sich das Problem nicht von alleine löst und eventuell eine psychische Erkrankung vorliegt, ist allerdings gegeben. Somit sollte man nicht wegschauen, wenn man ein verändertes Verhalten bemerkt. „Auf jeden Fall sollte man denjenigen ansprechen und einfach fragen, wie es ihm geht“, rät Sulprizio. „Da man auf diese Frage oft keine ehrliche Antwort erhält, sollte man einen geschützten Raum ohne andere Personen aufsuchen und versuchen, herauszufinden, ob es gerade ein konkretes Problem wie zum Beispiel den Tod eines Verwandten oder eine beendete Beziehung gibt oder ob eine allgemeine Niedergeschlagenheit vorherrscht.“ In dem Fall wäre der Gang zum Hausarzt oder, falls schon vorhanden, zum behandelnden Psychotherapeuten ein guter Ratschlag. Falls noch kein Netzwerk besteht, kann man auch die Dienste von ‚MentalGestärkt‘ in Anspruch nehmen, wo man konkrete Vorschläge erhält, zu welchem Arzt oder Therapeuten man nahe des Wohnorts gehen könnte.
Sich wie Petrissa Solja ein paar Monate vom Sport zurückzuziehen, kann für Leistungssportler ebenfalls ein guter Weg sein. „Es ist zwar richtig, dass Sport bei mentalen Problemen helfen kann. Aber wenn Sport dein Job ist, hilft es nicht, zu sagen, dass man mal ein wenig Sport machen soll“, führt Sulprizio aus. „Da muss man das Trainingspensum oder die -intensität eher etwas runterfahren. Oder man findet eine andere Sportart, bei der man sich nicht das Ziel ‚Ich muss gewinnen‘ setzt. Ein Tischtennisspieler könnte etwa zum Yoga gehen und dort völlig ohne Druck Sport machen.“ Damit es gar nicht erst so weit kommt, arbeiten Sportpsychologen präventiv mit den Athleten, um ihre Ressourcen zu stärken. Denn die Vulnerabilität eines Menschen kann beeinflusst werden. „Wir bringen ihnen bei, wie man mit Druck, Fehlern und Kritik gut umgehen kann. Sie erlernen also Strategien und Techniken, die ihnen helfen, auf eine bestimmte Situation zu reagieren, wenn diese tatsächlich einmal eintreten sollte. Der Sportpsychologe macht den Sportler mental stärker.“
Probleme öffentlich machen?
Stark ist es auch, diese Probleme nicht mit sich selbst auszumachen, sondern wie Assar, Pitchford und Solja offen damit umzugehen. Ob man an die Öffentlichkeit gehen sollte oder nicht, hängt zwar laut Sulprizio stark vom Umfeld ab, prinzipiell ist sie allerdings der Ansicht: „je offener, desto besser“. Auch Liam Pitchford hat die Erfahrung gemacht, dass Reden hilft. "Über die seelische Gesundheit zu sprechen, ist immer noch verpönt“, findet der Engländer. „Ich möchte die Leute ermutigen, darüber zu reden. Als ich mich das erste Mal geöffnet habe, habe ich mich gleich besser gefühlt." Und vielleicht fühlt sich ja sogar noch jemand anders besser, der merkt, dass er mit seinen Problemen nicht alleine ist, wenn sogar Leistungssportler damit kämpfen…
(JS)
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